Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
Vom Netzwerk:
gewünscht, diejenige zu sein, die … Sie hatten die Fantasie, diejenige zu sein, die …«
    »Hören Sie auf!« Sie presste sich die Hände über die Ohren.
    »Es tut mir leid.«
    »Wie kann er das wissen?« Sie war völlig außer sich. Ihre Hände bedeckten jetzt den Mund.
    Ich registrierte ihre Reaktion. Ich hörte ihre Worte. Aber ich wehrte mich dagegen, es zu glauben. Am liebsten hätte ich gesagt: Jetzt bilde ich mir auch schon Sachen ein. Einen Moment lang habe ich fast geglaubt, Sie haben gefragt, wie Freud das wissen kann.
    »Ich habe mit keinem Menschen darüber geredet«, flüsterte sie. Sie war dunkelrot angelaufen. »Mit niemandem! Wie kann er das bloß wissen?«
    Ich konnte sie nur mit leerem Blick anstarren, so wie sie mich vor einem Augenblick.
    »O Gott, ich bin so schlecht !« Mit diesem Aufschrei rannte sie zurück zum Haus.

     
    Nachdem er den Child’s Lunch Room verlassen hatte, trabte Littlemore hinüber zur Polizeistation an der Forty-seventh Street, um nachzusehen, ob man Chong Sing oder William Leon schon erwischt hatte. Tatsächlich waren beide Männer festgenommen worden – schon hundert Mal, berichtete Captain Post dem Detective gereizt. Bereits wenige Stunden nachdem die Beschreibung der beiden Gesuchten verschickt worden war, gingen Dutzende Anrufe von Leuten aus der ganzen Stadt und sogar aus Jersey ein, die behaupteten, Chong gesehen zu haben. Bei Leon war es noch schlimmer. Jeder Chinese in Anzug und Krawatte war William Leon.
    »Jack Reardon rennt schon den ganzen Tag wie kopflos durch die Gegend.« Captain Posts Äußerung bezog sich auf den Officer, der zusammen mit Littlemore Miss Sigels Leiche entdeckt hatte und somit Posts einziger Mann war, der den flüchtigen Chong Sing schon einmal gesehen hatte. Reardon war zu Polizeirevieren in der ganzen Stadt geschickt worden, wo man wieder einmal einen »Mr. Chong« aufgegriffen hatte, und jedes Mal stellte er bei seiner Ankunft fest, dass der Falsche verhaftet worden war. »Es ist sinnlos. Wir haben schon halb Chinatown eingesperrt, und trotzdem haben wir die zwei noch nicht. Ich musste den Jungs Befehl erteilen, keine Leute mehr festzunehmen. Hier. Ist da was dabei, wo Sie selbst nachschauen möchten?«
    Post warf Littlemore eine Aufstellung der gemeldeten, aber noch nicht überprüften Sichtungen von Chong Sing und William Leon hin. Mit dem Finger über die handschriftlichen Notizen gleitend, ging der Detective die Liste durch. Ungefähr auf halber Höhe der Seite hielt er inne, als ihm eine einzeilige Beschreibung auffiel. Er las: Canal Street beim Fluss. Chinesischer Arbeiter am Hafen soll Beschreibung des gesuchten Chong Sing entsprechen.
    »Haben Sie einen Wagen?«, fragte Littlemore. »Da würd ich gern mal vorbeifahren.«
    »Wieso?«
    »Weil es dort am Hafen roten Lehm gibt«, erwiderte der Detective.
    In Begleitung eines Uniformierten steuerte Littlemore Captain Posts einzigen Polizeiwagen in die Innenstadt. Sie bogen in die Canal Street ein und folgten ihr bis zum östlichen Stadtrand, wo sich die riesige, neu erbaute Manhattan Bridge über dem East River erhob. Vor dem Eingang zur Baustelle hielt Littlemore an und ließ den Blick über die Arbeiter huschen.
    »Das ist er, der Mann dort.«
    Es wäre schwer gewesen, Chong Sing zu übersehen: ein einsamer Chinese in einem Gedränge von weißen und schwarzen Arbeitern. Er schob einen mit Schlackensteinen gefüllten Karren vor sich her.
    Littlemore sprach sich mit dem Officer ab. »Gehen Sie direkt auf ihn zu. Wenn er flüchtet, schnapp ich ihn mir.«
    Doch Chong Sing rannte nicht weg. Beim Anblick des Polizisten senkte er nur den Kopf, ohne anzuhalten. Als ihm der Officer die Hand auf die Schulter legte, ergab sich Chong ohne Gegenwehr. Andere Arbeiter blieben stehen und beobachteten die unspektakuläre Verhaftung, niemand schritt ein. Als der Officer zu dem Streifenwagen zurückkehrte, in dem Detective Littlemore wartete, hatten sich die Männer bereits wieder ihrer Arbeit zugewandt, als wäre nichts geschehen.
    »Warum sind Sie denn gestern davongelaufen, Mr. Chong?«
    »Ich nix davonlaufen«, antwortete Chong. »Ich Arbeit. Schauen selbst, ich Arbeit.«
    »Ich muss Sie wegen Beihilfe zu Mord festnehmen. Verstehen Sie, was das heißt? Dafür können Sie hängen.« Littlemore machte eine Geste, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen.
    Der Chinese schlug einen flehenden Ton an. »Ich nix wissen. Leon weg. Dann Geruch kommen aus Zimmer von Leon. Das

Weitere Kostenlose Bücher