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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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wiederholte Younger.
    »Überlegen Sie doch, mein Junge. Statt Mrs. Banwell zu hassen, wie es eigentlich normal gewesen wäre, hat Nora sie praktisch als Mutterersatz akzeptiert. Das bedeutet, dass es Mrs. Banwell gelungen ist, eine besondere Bindung zu dem Mädchen herzustellen, was unter den Umständen eine bemerkenswerte Leistung ist. Ich bin mir fast sicher, dass sie Nora ihre verbotenen erotischen Geheimnisse gestanden hat – bei Frauen ein beliebtes Mittel, um Vertrautheit zu schaffen.«
    »Ich verstehe.« Younger hatte einen glasigen Ausdruck in den Augen.
    »Wirklich? Für Nora ist es dadurch sicherlich schwerer geworden. Außerdem lässt sich daraus eine gewisse Rücksichtslosigkeit vonseiten Mrs. Banwells ablesen. Keine Frau wird solche Dinge einer Heranwachsenden anvertrauen, deren Unschuld ihr am Herzen liegt. Nun, ich sehe, dass Sie mir etwas mitteilen wollen, aber Sie sind zu müde. Es hätte keinen Zweck, jetzt gleich darüber zu sprechen. Wir reden morgen. Ruhen Sie sich erst mal aus.«

     
    Eine Arie trällernd, schlenderte Smith Elly Jelliffe am Freitagabend kurz nach elf Uhr ins Balmoral. Nachdem er die Türsteher mit einem großzügigen Trinkgeld bedacht hatte, ließ er sie wissen, ohne dass sie danach gefragt hatten, dass er den Abend in der Metropolitan Opera verbracht hatte, und zwar in Gesellschaft eines überaus reizenden weiblichen Geschöpfs, das sich darauf verstand, die Zeit in der Oper auf sinnvolle Weise zu nutzen. Mit seinem leuchtenden Gesicht wirkte Jelliffe ganz wie ein Mann, der von der Größe seiner Seele überzeugt ist.
    Sein selbstzufriedenes Strahlen wurde erheblich gedämpft durch das Auftauchen eines jungen Mannes in fadenscheinigem Anzug, der ihm den Weg zum Aufzug versperrte. Es verblasste noch mehr, als sich der junge Mann als Police Detective vorstellte.
    »Sie sind doch Harry Thaws Arzt, Dr. Jelliffe?«, fragte Littlemore.
    »Ist Ihnen eigentlich klar, wie spät es ist?«
    »Beantworten Sie einfach meine Frage.«
    »Mr. Thaw ist in meiner Obhut«, räumte Jelliffe ein. »Das ist allgemein bekannt. In allen Zeitungen wurde darüber berichtet.«
    »War er auch letztes Wochenende hier in der Stadt in Ihrer Obhut?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    »Das dachte ich mir schon.« Der Detective winkte einer auffällig gekleideten jungen Frau, die am anderen Ende der marmornen Eingangshalle auf einem Ledersofa saß. Greta trat näher. Littlemore fragte sie, ob sie Jelliffe wiedererkannte.
    »Klar, das ist er«, erklärte Greta. »Dr. Smith. Ist mit Harry gekommen und mit ihm weggefahren.«
    Vor seinem Besuch beim Bürgermeister war der Detective in sein Büro zurückgekehrt, um noch einmal die Prozessmitschrift zu lesen. Jelliffe hatte damals ausgesagt, dass Thaw unzurechnungsfähig war. Als er in dem Protokoll Jelliffes Vornamen Smith entdeckte, hatte er zwei und zwei zusammengezählt. »Also, Dr. Smith«, fuhr Littlemore fort, »wollen Sie hier auspacken – oder lieber auf dem Revier?«
    Der Detective musste nicht lang auf ein Geständnis warten. »Das war überhaupt nicht meine Entscheidung«, platzte Jelliffe heraus. »Es war Dana. Dana hat das in die Wege geleitet.«
    Littlemore forderte Jelliffe auf, sie mit hoch in seine Wohnung zu nehmen. Als sie Jelliffes überladenes Foyer betraten, nickte der Detective anerkennend. »Mann, Sie haben ganz schön was zu verlieren, Dr. Smith. Sie haben Thaw also letztes Wochenende in die Stadt gebracht? Wie haben Sie das bewerkstelligt – die Wärter bestochen?«
    »Ja, aber das war alles Danas Entscheidung, nicht meine.« Jelliffe ließ sich schwer auf einen Stuhl an seinem Esstisch fallen. »Ich habe nur seine Anweisungen befolgt.«
    Littlemore starrte auf ihn herab. »War es Ihre Idee, ihn in Susies Haus zu bringen?«
    »Das Haus hat sich Thaw selbst ausgesucht. Bitte, Detective. Es war eine medizinische Notwendigkeit. Ein gesunder Mann kann von einer Anstalt wie dem Matteawan Hospital in den Wahnsinn getrieben werden. Umgeben von lauter Irren. Ohne die Möglichkeit, sich auf normale Weise körperlich abzureagieren.«
    »Aber Thaw ist verrückt. Deswegen ist er doch in der Klapsmühle.«
    »Er ist nicht verrückt. Er ist nur leicht erregbar«, entgegnete Jelliffe. »Er hat ein nervöses Temperament. Es ist nicht gut, wenn man so einen Mann einsperrt.«
    »Schade, dass Sie beim Prozess das Gegenteil ausgesagt haben. Das war nicht das erste Mal, dass Sie Thaw in die Stadt gebracht haben, oder? Vor einem Monat waren Sie doch

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