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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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Bürgermeisteramt.«
    Littlemore fiel keine passende Antwort ein. Die Äußerung des Bürgermeisters erstaunte ihn zutiefst. Jedermann wusste, dass McClellan ein erklärter Feind der Tammany Hall war. Er hatte geschworen, sich nicht mit Murphy und seinesgleichen abzugeben.
    McClellan fuhr fort. »George hat mich zu dem Treffen überredet. Er meinte, dass Murphy nach Haffens Entlassung vielleicht verhandlungsbereit wäre. Und so war es auch. Er hat verlangt, dass ich Haffen zum obersten Rechnungsprüfer mache. Nicht sofort, erst in ein, zwei Monaten. Wenn ich darauf eingehe, verzichtet Richter Gaynor auf die Kandidatur. Ich werde nominiert und habe die Wahl so gut wie gewonnen. Sie haben sich bereit erklärt, noch am selben Abend vor dem Gouverneur ihre Zusage zu bekräftigen, wenn ich ihnen mein Wort gebe.«
    »Und was haben Sie geantwortet, Sir?«
    »Ich habe Murphy mitgeteilt, dass Mr. Haffen meiner Ansicht nach keinen neuen Posten braucht, da er schon auf seinem letzten eine viertel Million Dollar von der Stadt veruntreut hat. George war sehr enttäuscht. Ihm wäre es lieber gewesen, dass ich den Vorschlag annehme. Kein Zweifel, Littlemore, er hat von unserer Freundschaft profitiert, aber er hat sich auch jeden Dollar verdient, den ihm die Stadt gezahlt hat. Erst diese Woche habe ich ihm seine letzte Rate gegeben – und zwar keinen Penny mehr als ursprünglich ausgemacht. Und nein, ich kann mir nicht vorstellen, wie er Miss Riverford in Saranac hätte töten sollen. Wir haben das Hotel gegen halb zehn oder zehn verlassen, haben noch bei Colgate reingeschaut und sind dann zusammen nach New York zurückgekehrt. Wir haben meinen Wagen genommen und waren um sieben Uhr morgens in Manhattan. Ich glaube, die ganze Nacht über hat sich Banwell nie länger als fünf oder zehn Minuten aus meiner Gesellschaft entfernt. Warum er den Aufenthaltsort von Miss Riverfords Familie falsch angegeben hat, ist mir ein Rätsel – falls dies überhaupt der Fall ist. Vielleicht hat er sagen wollen, dass die Riverfords in einem Vorort von Chicago wohnen.«
    »Das überprüfen wir gerade, Sir.«
    »Auf jeden Fall kann er nicht der Mörder sein.«
    »Ich glaube auch nicht, dass er es war, Mr. Mayor. Ich will ihn nur ausschließen können. Aber ich bin nah dran, Sir. Ganz nah dran. Ich habe eine heiße Spur.«
    »Mein Gott, Littlemore. Warum sagen Sie das nicht gleich? Wer ist es?«
    »Verzeihen Sie, Sir, aber ich erfahre erst heute Abend, ob sich mein Verdacht bestätigt. Wenn ich vielleicht noch bis dahin warten könnte.«
    Der Bürgermeister war einverstanden. Bevor er Littlemore entließ, gab er ihm eine Karte, auf der eine Telefonnummer stand. »Das ist meine Nummer von zu Hause. Rufen Sie mich sofort an, wenn Sie was rausfinden. Egal, um welche Uhrzeit.«

     
    Um halb neun am Freitagabend öffnete Sigmund Freud seine Hotelzimmertür, nachdem es geklopft hatte. Er trug einen Morgenmantel und darunter Anzughose, weißes Hemd und schwarze Krawatte. Vor der Schwelle stand ein hochgewachsener junger Mann, der sowohl körperlich als auch geistig erschöpft wirkte.
    »Younger, da sind Sie ja. Meine Güte, Sie sehen ja furchtbar aus.«
    Stratham Younger blieb ihm die Antwort schuldig. Freud bemerkte sofort, dass ihm etwas zugestoßen war. Aber Freuds Reserven an Mitgefühl waren weitgehend aufgebraucht. Der mitgenommene Zustand des Jungen war für ihn nur ein weiteres Zeichen für die allgemeine Auflösung der Dinge, die nach seiner Ankunft in New York eingesetzt hatte. Musste denn jeder Amerikaner in irgendeine Katastrophe verstrickt sein? Konnte nicht wenigstens einer von ihnen klaren Kopf bewahren?
    »Ich wollte nachschauen, wie es Ihnen geht, Sir«, sagte Younger.
    »Abgesehen davon, dass mir sowohl meine Verdauungsfähigkeit als auch mein wichtigster Anhänger abhandengekommen ist, geht es mir blendend, danke. Die Absage meiner Vorlesungen an Ihrer Universität wird natürlich auch ein Grund zur Freude sein. Also alles in allem eine überaus erfolgreiche Reise in Ihr wunderschönes Land.«
    »Ist Brill zur New York Times gefahren, Sir? Hat er herausgefunden, ob der Artikel echt ist?«
    »Ja, er ist echt«, antwortete Freud. »Jung hat das Interview tatsächlich gegeben.«
    »Ich gehe morgen zu Präsident Hall, Dr. Freud. Ich habe den anderen Artikel gelesen. Alles nur Klatsch. Anonymer Klatsch. Bestimmt kann ich Hall überreden, die Vorlesungen nicht zu streichen. Und Jung wird nichts gegen Sie sagen.«
    »Nichts gegen mich sagen?«

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