Morddeutung: Roman (German Edition)
schon mal mit ihm hier.«
»Nein, ich schwöre es«, rief Jelliffe. »Es war das erste Mal.«
»Na klar«, bemerkte Littlemore. »Und woher hat Thaw Elsie Sigel gekannt?«
Jelliffe beteuerte, überhaupt erst aus den gestrigen Zeitungen von Elsie Sigels Existenz erfahren zu haben.
»Als sie Thaw zu Susies Haus gebracht haben«, hakte Littlemore nach, »haben Sie da gewusst, was er mit den Mädels anstellt? War das auch eine medizinische Notwendigkeit?«
Jelliffe ließ den Kopf hängen. »Ich hatte von seinen Neigungen gehört, ja, aber ich dachte, dass wir dieses Problem gelöst haben.«
»Aha.« Leicht angewidert beobachtete der Detective, wie sich Jelliffes manikürte Fingernägel in seine immense Taille bohrten. »Bevor Sie in dieser Nacht zu Susie gegangen sind, als Thaw hier bei Ihnen in der Wohnung war, wie lang war er da unbeobachtet? Oder haben Sie ihn allein gelassen? Ist er weggegangen? Was ist passiert?«
»Hier bei mir?« Jelliffe wirkte ängstlich und verwirrt. »Nie im Leben würde ich den Mann in meine eigene Wohnung bringen.«
»Spielen Sie mir nichts vor, Smith. Ich hab schon jetzt genug Material, um Sie wegen Beihilfe zum Mord dranzukriegen.«
»Mord? Herr im Himmel, das kann nicht sein. Es ist doch niemand ermordet worden.«
»Hier in diesem Haus ist Sonntagnacht ein Mädchen ermordet worden, und in der gleichen Nacht hatten Sie Thaw hier in der Wohnung.«
Jelliffes Gesicht war kreidebleich. »Nein. Thaw ist Samstagnacht in die Stadt gekommen. Und am Sonntagmorgen bin ich persönlich mit ihm zurück zum Matteawan Hospital gefahren. Da können Sie Dana fragen. Oder schauen Sie in den Aufzeichnungen der Anstalt nach. Da steht alles drin.«
Jelliffes Verzweiflung klang echt, aber Littlemores Beweise deuteten auf das Gegenteil. »Netter Versuch, Smith, leider habe ich ein halbes Dutzend Mädels, die Sie und Thaw letzten Sonntag bei Susie gesehen haben. Stimmt doch, Greta?«
»Ja«, antwortete Greta. »Ungefähr um ein oder zwei Uhr am Sonntagmorgen. Wie ich es Ihnen gesagt habe.«
Littlemore erstarrte. »Moment mal, Moment mal. Meinen Sie Samstagnacht oder Sonntagnacht?«
»Samstagnacht, Sonntagnacht – ist doch das Gleiche.«
»Greta, ich muss da ganz sicher sein.« Der Detective blickte sie eindringlich an. »Wann ist Thaw gekommen: Samstagnacht oder Sonntagnacht?«
»Samstagnacht. Am Sonntag arbeite ich nicht.«
Wieder stand Littlemore mit leeren Händen da. Dabei hatte die Spur zu Thaw wie eine todsichere Sache ausgesehen. Alles hatte darauf hingedeutet. Doch jetzt hatte sich herausgestellt, dass Thaw in der falschen Nacht bei Susie gewesen war – in der Nacht vor dem Mord. Er wandte sich wieder an Jelliffe. »Ich werde diese Anstaltsaufzeichnungen überprüfen, und ich kann nur hoffen, dass Sie die Wahrheit gesagt haben. Kommen Sie, Greta, wir gehen.«
Schluckend wuchtete sich Jelliffe aus seinem Stuhl. »Ich finde, Sie könnten sich wenigstens bei mir entschuldigen, Detective.«
»Mag sein. Aber wenn Sie mir das noch mal unter die Nase reiben, dann sitzen Sie ein bis fünf Jahre, weil Sie einem Staatsgefangenen zur Flucht verholfen haben. Und dass Sie in dem Fall nie wieder als Arzt praktizieren werden, muss ich wohl nicht extra erwähnen.«
In der zweiten Nacht nacheinander kam C. G. Jung unter der Calvary Church gegenüber dem Gramercy Park vorbei. Diesmal hatte er seinen Revolver in der Tasche. Vielleicht verlieh ihm das Mut. Ohne Zögern marschierte er an dem gusseisernen Zaun des südlichen Parks entlang, überquerte die Straße und trat direkt auf den Polizisten vor dem Haus der Actons zu. Der Officer sprach ihn an, und Jung fragte ihn nach dem Weg zum Theatrical Club.
»Sie meinen den Players Club«, antwortete der Polizist. »Nummer sechzehn, vier Häuser weiter.«
Jung klopfte an die Tür von Nummer sechzehn und wurde eingelassen, nachdem er Smith Jelliffes Namen erwähnt hatte. Musik und lachende Frauenstimmen erfüllten die Luft. Drinnen konnte Jung es einfach nicht fassen, wie er so ein Narr hatte sein können, zweimal fast bis zur Tür zu gelangen und dann unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Was für eine Vorstellung: Ein Mann seines Formats hatte Angst davor, ein Etablissement zu betreten, in dem Frauen für Geld zu haben waren.
Die Garderobiere, die Jung im Gang begrüßte, war im ersten Augenblick verdutzt, als er seinen Revolver zog. Doch er händigte ihn ihr mit europäischer Höflichkeit aus und erklärte, er habe sich wegen der Anwesenheit
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