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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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ausgeliefert. Sie hatte ihm Liebesbriefe geschrieben – einem Chinesen! Er hat sie mir verkauft, und ich habe die Ärmste wissen lassen, dass ich es für meine Pflicht halte, die Briefe ihrem Vater zu übergeben – außer sie wäre bereit, mir zu helfen. Aber mein Mann, dieser hechelnde Hund, war nicht interessiert. Sie hätten ihn sehen sollen – dieses hübsche Angebot hat ihn völlig kaltgelassen. In Gedanken war er immer nur …« Zum ersten Mal warf Clara einen Blick auf die immer noch liegende Nora. »… bei seinem Knochen.«
    »Sie haben sie umgebracht. Mit Chloroform. Demselben Chloroform, das Sie Ihrem Mann für seine Besuche bei Nora gegeben haben.«
    Clara lächelte. »Ich sage ja, Sie sollten Detektiv werden. Elsie konnte einfach nicht den Mund halten. Und was für eine unangenehme Stimme sie hatte. Sie hat mir keine andere Wahl gelassen. Sie hätte geredet. Ich konnte es in ihren Augen sehen.«
    »Warum hast du nicht einfach mich umgebracht?«, entfuhr es Nora.
    »Ach, Schätzchen, meinst du, ich bin nicht auf diese Idee gekommen? Aber das hätte mir nicht gereicht. Du hast ja keine Ahnung, wie es für mich war, das Gesicht meines Mannes zu studieren, als er verstanden hat, dass du, die Liebe seines Lebens, alles in deiner Macht Stehende dafür tust, um ihn zu ruinieren, um ihn zu vernichten. Das war mir mehr wert als all sein Geld. Na ja, fast mehr, und sein Geld kriege ich ja sowieso. Dr. Younger, ich glaube, Sie haben mich jetzt lange genug reden lassen.«
    »Sie können uns nicht töten, Mrs. Banwell. Wenn wir beide gefunden werden, mit Ihrer Waffe erschossen, nimmt Ihnen keiner ab, dass Sie unschuldig sind. Sie kommen an den Galgen. Legen Sie die Waffe weg.« Ich machte einen Schritt auf sie zu.
    »Bleiben Sie stehen!« Clara richtete die Waffe auf Nora. »Ihr eigenes Leben mögen Sie aufs Spiel setzen. Bei ihr werden Sie vorsichtiger sein. Und jetzt raus auf den Balkon.«
    Wieder machte ich einen Schritt – nicht in Richtung des Balkons, sondern in Claras Richtung.
    »Bleiben Sie stehen! Sind Sie verrückt? Ich erschieße Nora.«
    »Sie schießen höchstens auf sie, Mrs. Banwell«, erwiderte ich. »Und Sie werden sie verfehlen. Was haben Sie da für ein Ding? Eine kurzläufige 22er mit Spannschloss? Mit so was treffen Sie nicht einmal ein Scheunentor, wenn Sie nicht einen halben Meter davor stehen. Ich bin jetzt einen halben Meter vor Ihnen, Mrs. Banwell. Schießen Sie doch auf mich.«
    »Wie Sie wollen.« Und Clara schoss.
    Unerklärlicherweise hatte ich den deutlichen Eindruck, genau verfolgen zu können, wie die Kugel aus dem Lauf von Claras Revolver trat, langsam auf mich zuflog und mein weißes Hemd durchschlug. Ich spürte einen Stich unter der letzten linken Rippe. Erst dann hörte ich die Detonation.
    Die Waffe prallte leicht zurück. Ich packte Clara an den Handgelenken. Sie wand sich, um sich loszureißen, doch es gelang ihr nicht. Ich drängte sie auf den Balkon zu – ich ging vorwärts, sie rückwärts, die Waffe über unseren Köpfen zielte auf die Decke. Nora stand auf, aber ich schüttelte den Kopf. Clara stieß eine riesige Tischlampe in Noras Richtung. Sie zersplitterte zu ihren Füßen, und ein Scherbenregen fiel auf Noras Beine. Ich schob Clara weiter zum Balkon. Wir überschritten die Schwelle. Mit großer Heftigkeit stieß ich sie gegen das Geländer. Der Revolver zeigte immer noch nach oben.
    »Da geht es weit hinunter, Mrs. Banwell«, flüsterte ich in der Dunkelheit. In meinen Eingeweiden arbeitete sich die Kugel voran, und ich zuckte zusammen. »Lassen Sie die Waffe los.«
    »Das können Sie nicht«, sagte sie. »Sie können mich nicht töten.«
    »Nein?«
    »Nein. Das ist der Unterschied zwischen uns.«
    Schlagartig fühlte ich ein Brennen im Bauch, als hätte mir jemand ein glühend heißes Eisen hineingebohrt. Ich war mir sicher gewesen, dass ich sie davon abhalten konnte, die Oberhand zu gewinnen. Doch jetzt war ich auf einmal nicht mehr so zuversichtlich. Wieder durchfuhr mich das Stechen unterhalb meiner Rippen. Ich hob Clara zwanzig Zentimeter vom Boden und stieß sie mit aller Kraft an die Seitenwand des Balkons. So kamen wir zum Stillstand: Gesicht an Gesicht, Brust an Brust, Arme und Hände zwischen den Oberkörpern verknäuelt, ihr Rücken gegen die Wand gequetscht, unsere Augen und Münder nur Zentimeter voneinander entfernt. Wir starrten uns an. Manche Frauen macht der Zorn hässlich, andere noch schöner. Clara gehörte zu letzteren.
    Noch immer hatte

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