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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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die gleiche Folge haben. Andererseits leidet sie sichtlich unter Selbstvorwürfen. Sie sollte erst einmal schlafen. Vielleicht wacht sie morgen ohne Symptome auf. Wenn ihre Probleme jedoch von Dauer sind, ist eine Analyse angezeigt.«
    »Selbstvorwürfe?«, wunderte sich McClellan.
    »Schuldgefühle«, erklärte Ferenczi. »Das Mädchen leidet nicht nur unter Folgen des Angriffs, sondern an Schuldgefühlen in Zusammenhang damit.«
    »Warum sollte sie denn Schuldgefühle haben?«, fragte der Bürgermeister.
    »Es gibt viele mögliche Gründe«, antwortete Freud. »Doch in Fällen sexueller Nötigung von jungen Menschen spielen fast immer auch Selbstvorwürfe eine Rolle. Sie hat sich schon zweimal bei uns für ihren Gedächtnisverlust entschuldigt. Aber rätselhafter ist eigentlich ihr Stimmverlust.«
    »Vielleicht doch Vergewaltigung«, flüsterte Ferenczi, »per os?«
    »Großer Gott«, entfuhr es McClellan. »Ist so was möglich?«
    »Es ist möglich, aber nicht wahrscheinlich«, stellte Freud fest. »Wenn eine orale Penetration die Ursache ihrer Symptome wäre, würde sich die Unfähigkeit zum Gebrauch des Mundes auch auf das Aufnehmen erstrecken. Aber wie Sie bemerkt haben, hat sie ihren Tee ohne Schwierigkeiten getrunken. Das war auch der Grund meiner Frage, ob sie Durst hat.«
    Nach einem Moment des allgemeinen Nachdenkens meldete sich erneut McClellan zu Wort, diesmal nicht im Flüsterton. »Dr. Freud, verzeihen Sie meine Unwissenheit, aber existiert ihre Erinnerung an das Ereignis noch, oder wurde sie sozusagen ausgelöscht?«
    »Angenommen, es handelt sich um hysterische Amnesie, dann existiert die Erinnerung mit Sicherheit«, erwiderte Freud. »Sie ist ja die Ursache.«
    »Die Erinnerung ist die Ursache der Amnesie?«
    »Die Erinnerung an den Angriff – die zudem auch andere, tiefer liegende Erinnerungen wiedererweckt hat – ist unerträglich. Daher hat sie sie verdrängt, und das führt zum Erscheinungsbild einer Amnesie.«
    »Tiefer liegende Erinnerungen?« Der Bürgermeister starrte ihn an. »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
    Freud holte zu einer längeren Erklärung aus. »Ein Überfall, wie ihn das Mädchen erlebt hat – und sei er noch so brutal und schrecklich -, wird in ihrem Alter normalerweise keinen Gedächtnisverlust verursachen. Wenn das Opfer ansonsten gesund ist, erinnert es sich an die Tat. Aber wenn das Opfer schon früher ein anderes traumatisches Erlebnis gehabt hat – so traumatisch, dass die Erinnerung daran vollkommen aus dem Bewusstsein verdrängt werden musste -, kann ein Angriff zu einer Amnesie führen, weil der neue Angriff nicht erinnert werden kann, ohne Erinnerungen an das frühere Erlebnis auszulösen, was das Bewusstsein nicht zulassen darf.«
    »Gütiger Himmel«, stieß der Bürgermeister aus.
    »Wie müssen wir also vorgehen?«, fragte Higginson.
    »Können Sie sie heilen?«, fuhr McClellan dazwischen. »Sie ist die Einzige, die uns eine Beschreibung des Angreifers geben kann.«
    »Hypnose?«, schlug Ferenczi vor.
    »Davon rate ich dringend ab«, mahnte Freud. »Das würde ihr nicht helfen, außerdem sind in Hypnose preisgegebene Erinnerungen nicht zuverlässig.«
    »Was ist mit dieser … Analyse, wie Sie das nennen?«, drängte der Bürgermeister.
    »Wir könnten gleich morgen damit beginnen. Aber ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Psychoanalyse eine sehr zeitraubende Behandlung ist. Man muss täglich mindestens eine Stunde lang mit der Patientin zusammenkommen.«
    »Da sehe ich keine Probleme«, stellte McClellan fest. »Die Frage ist, was wir heute Abend mit Miss Acton machen.« Die Eltern des Mädchens, die ihren Sommerurlaub in ihrem Landhaus in Berkshire verbrachten, waren nicht zu erreichen. Higginson schlug vor, Freunde der Familie zu verständigen, doch der Bürgermeister sprach sich dagegen aus. »Acton will bestimmt nicht, dass sich die Sache herumspricht. Die Leute könnten glauben, dass das Mädchen einen dauerhaften Schaden davongetragen hat.«
    Die letzte Bemerkung hatte Miss Acton offenbar mitbekommen. Ich sah, dass sie wieder etwas für uns aufschrieb. Ich ging hinüber und nahm die Nachricht entgegen. Ich will nach Hause, auf der Stelle.
    Daraufhin teilte ihr McClellan mit, dass er das nicht zulassen konnte. Es war bekannt, so warnte er sie, dass Verbrecher oft zum Tatort zurückkehrten. Vielleicht beobachtete der Angreifer ihr Haus. Aus Angst, von ihr identifiziert zu werden, hielt er es möglicherweise für seine einzige Hoffnung, sie

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