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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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erzählen? Sagen Sie mir das. Natürlich wäre eine Untersuchung erforderlich gewesen – und zwar von Ihnen, und Sie müssten sie schon längst beendet haben.«
    »Ich?«, fragte der Coroner. »Schon längst?«
    »Wie viele Leichen haben wir im letzten halben Jahr verloren, Hugel? Zwanzig? Selbst nachdem wir das Leck gestopft haben, sind zwei unter noch ungeklärten Umständen verschwunden. Und wohin, wissen Sie genauso gut wie ich.«
    »Sie wollen doch nicht andeuten, dass ich …«
    »Natürlich nicht. Aber irgendeiner Ihrer Angestellten verkauft unsere Leichen an medizinische Universitäten. Wie ich gehört habe, bezahlt man dort fünf Dollar pro Kopf.«
    »Was kann ich dafür«, protestierte Hugel, »wenn ich unter solchen Voraussetzungen arbeiten muss: kein Schutz, keine Wachleute, zu wenig Platz für die Leichen, die sich stapeln und manchmal schon in Verwesung übergehen, bevor sie abtransportiert werden können. Jeden Monat habe ich mich über die erniedrigenden Bedingungen im Leichenschauhaus beschwert. Trotzdem lassen Sie mich in diesem Loch versauern.«
    »Es tut mir leid, dass es so schlimm um das Leichenschauhaus steht«, entgegnete McClellan. »Niemand wäre mit diesen Umständen auch nur halb so gut klargekommen wie Sie. Aber diese Leichendiebstähle haben Sie einfach ignoriert, und ich muss jetzt den Kopf dafür hinhalten. Sie werden jeden einzelnen Ihrer Angestellten befragen. Und Sie werden sich mit jeder medizinischen Fakultät der Stadt in Verbindung setzen. Ich will, dass diese Leiche gefunden wird.«
    »Diese Leiche ist nicht in einer Universität gelandet. Ich hatte die Autopsie schon durchgeführt. Ich habe sogar die Lunge herausgelöst, um Ersticken als Todesursache bestätigen zu können.«
    »Na und?«
    »Keine medizinische Fakultät will eine Leiche nach einer Autopsie. Sie wollen einen intakten Körper.«
    »Dann haben die Diebe eben einen Fehler gemacht.«
    »Das war kein Fehler«, fuhr der Coroner auf. »Der Mann, der sie ermordet hat, hat ihre Leiche gestohlen.«
    »Jetzt reißen Sie sich mal zusammen, Hugel. Das sind doch wilde Fantasien.«
    »Ich bin völlig ruhig.«
    »Ehrlich gesagt, kann ich Ihnen nicht ganz folgen. Sie behaupten also, dass Miss Riverfords Mörder vergangene Nacht ins Leichenschauhaus eingebrochen ist und sich mit der Leiche seines Opfers davongemacht hat?«
    »Genau.« Hugel nickte.
    »Und warum sollte er so was tun?«
    »Weil es Spuren auf dem Mädchen gibt, auf der Leiche, und diese Beweise möchte er verschwinden lassen.«
    »Was für Spuren?«
    Die Kinnladen des Coroners mahlten so heftig, dass seine Schläfen pflaumenfarben anliefen. »Die Spuren … es sind … ich weiß es noch nicht genau. Darum müssen wir die Leiche unbedingt finden!«
    »Hugel, Sie haben doch ein Schloss an der Tür zum Leichenschauhaus, oder?«
    »Selbstverständlich.«
    »Gut. War dieses Schloss heute Morgen aufgebrochen? Gab es Spuren, die auf einen Einbruch deuten?«
    »Nein.« Hugel knirschte mit den Zähnen. »Aber da kann jeder mit einem halbwegs brauchbaren Dietrich …«
    »Mr. Coroner, ich sage Ihnen jetzt, was Sie machen. Setzen Sie Ihre Angestellten sofort davon in Kenntnis, dass derjenige, der Miss Riverfords Leiche in einer Universität ›findet‹, eine Belohnung von fünfzehn Dollar erhält. Fünfundzwanzig Dollar, wenn sie noch heute wieder auftaucht. Auf diese Weise kriegen Sie sie garantiert wieder. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe heute noch viel zu tun. Auf Wiedersehen.« Als sich Hugel widerstrebend zum Gehen wandte, blickte der Bürgermeister plötzlich von seinem Schreibtisch auf. »Moment mal, warten Sie. Haben Sie gerade gesagt, dass Miss Riverford erstickt wurde?«
    »Ja. Warum fragen Sie?«
    »Wie erstickt?«
    »Mit einer Schlinge.«
    »Sie wurde erdrosselt?«
    »Ja. Warum?«
    Wieder überging der Bürgermeister die Frage des Coroners. »Hatte Sie irgendwelche Verletzungen am Körper?«
    »Das steht doch alles in meinem Bericht.« Die Einsicht, dass der Bürgermeister seinen Bericht nicht gelesen hatte, war eine neuerliche Beleidigung für Hugel. »Das Mädchen wurde ausgepeitscht. Sie hatte Striemen am Gesäß, am Rückgrat und auf der Brust. Außerdem hatte sie Schnittwunden von einer äußerst scharfen Klinge an den S-2- und L-2-Dermatomen.«
    »Wo? Bitte allgemein verständlich, Hugel.«
    »Auf der Innenseite beider Oberschenkel.«
    »Um Himmels willen«, entfuhr es dem Bürgermeister.

     
    In Gedanken immer noch bei der Begegnung mit

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