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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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fortzusetzen.
    Sie wirkte überrascht. »Worüber sollen wir uns denn jetzt noch unterhalten, Dr. Younger? Ich habe Ihnen doch schon alles gesagt.«
    »Vielleicht fällt Ihnen wieder etwas ein.«
    »Warum sagen Sie das?«
    »Weil Sie immer noch unter Amnesie leiden. Wenn wir alles aufgedeckt haben, was mit diesem Ereignis in Zusammenhang steht, dann wird bestimmt auch Ihr Gedächtnis zurückkehren.«
    »Glauben Sie denn, dass ich Ihnen etwas verheimliche?«
    »Das ist keine Verheimlichung, Miss Acton. Oder vielmehr, es ist etwas, was Sie vor sich selbst verheimlichen.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, entgegnete sie. Als ich nur noch einen Schritt von der Tür entfernt war, hielt sie mich mit ihrer hellen, weichen Stimme auf. »Dr. Younger?«
    »Miss Acton?«
    In ihren blauen Augen standen Tränen. Sie hatte das Kinn gereckt. »Er hat mich wirklich geküsst. Und unten am See hat er mir wirklich einen … Antrag gemacht.«
    Mir war nicht klar gewesen, wie sehr sie der Gedanke ängstigte, dass ich ihr möglicherweise genauso wenig Glauben schenken könnte wie ihr Vater. Etwas unbeschreiblich Liebenswertes lag in der Art, wie sie bei dem Wort »Antrag« auf den Zusatz unsittlich verzichtete. »Miss Acton«, antwortete ich, »ich glaube Ihnen jedes Wort.«
    Jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr aufhalten. Ich verabschiedete mich und wünschte Mrs. Biggs einen guten Tag, als ich im Flur an ihr vorbeikam.

     
    Im Salon des Hotel Manhattan saß George Banwell mit Bürgermeister McClellan in einer stillen Ecke. Der Bürgermeister bemerkte, dass Banwell aussah, als wäre er in eine Schlägerei geraten. Banwell zuckte die Achseln. »Bloß ein kleines Problem mit einem Gaul.«
    McClellan zog einen Umschlag aus der Brusttasche und reichte ihn Banwell. »Hier ist dein Scheck. Ich würde dir empfehlen, noch heute zur Bank zu gehen. Es ist eine ziemlich große Summe. Übrigens ist das die letzte Zahlung. Mehr wird es nicht geben, unter keinen Umständen. Haben wir uns verstanden?«
    Banwell nickte. »Falls noch Kosten dazukommen, übernehme ich sie selbst.«
    Dann berichtete der Bürgermeister, dass Miss Riverfords Mörder offenbar erneut zugeschlagen hatte. Kannte Banwell Harcourt Acton?
    »Natürlich kenne ich Acton«, antwortete Banwell. »Er und seine Frau sind zurzeit in meinem Sommerhaus. Sie sind gestern zu Clara rausgefahren.«
    »Ach, deswegen konnten wir sie nicht erreichen«, konstatierte McClellan.
    »Was ist denn mit Acton?«
    »Das zweite Opfer war seine Tochter.«
    »Nora? Nora Acton? Die habe ich doch erst vor einer Stunde auf der Straße gesehen.«
    »Ja, Gott sei Dank hat sie den Angriff überlebt.«
    »Was ist passiert?«, fragte Banwell. »Hat sie gesagt, wer es war?«
    »Nein. Sie hat das Gedächtnis verloren – kann sich an nichts erinnern. Sie weiß nicht, wer es war, und wir wissen es auch nicht. Ein paar Spezialisten kümmern sich jetzt um sie. Sie ist hier. Ich hab sie erst mal im Manhattan untergebracht, bis Acton zurückkommt.«
    »Verfluchte Geschichte.« Banwell zögerte. »So ein gut aussehendes Mädchen.«
    »Kann man wohl sagen.«
    »Vergewaltigt?«
    »Nein, zum Glück nicht.«
    »Zum Glück.«

     
    Ich fuhr ins Metropolitan Museum und fand die anderen in den Sälen mit Exponaten aus der römischen und griechischen Antike. Während Freud in ein Gespräch mit dem Führer vertieft war – Freuds Wissen war wirklich erstaunlich -, ließ ich mich mit Brill ein wenig zurückfallen. Die Sache mit seinem Manuskript hatte sich geklärt. Sein Verleger Jelliffe war anfangs genauso perplex gewesen wie wir, doch dann fiel ihm ein, dass er seine Druckerpresse in der vorigen Woche einem Geistlichen geliehen hatte, der gerade eine Reihe biblischer Erbauungsschriften zur Veröffentlichung bereit machte. Irgendwie mussten die beiden Druckaufträge durcheinandergeraten sein.
    »Haben Sie gewusst«, fragte ich Brill, »dass Goethe Jungs Urgroßvater war?«
    »Quatsch«, antwortete Brill, der ein Jahr lang in Zürich gelebt und für Jung gearbeitet hatte. »Alles nur Familienlegenden zur Selbstbeweihräucherung. Hat er auch von Humboldt angefangen?«
    »Ja, allerdings.«
    »Eigentlich möchte man meinen, es sollte reichen, wenn ein Mann eine Frau mit großem Vermögen heiratet. Keine Ahnung, warum er sich auch noch einen Stammbaum dazuerfinden muss.«
    »Könnte aber auch genau der Grund sein, warum er ihn erfindet«, bemerkte ich.
    Brill grummelte unverbindlich. Plötzlich zog er mit einer seltsamen

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