Morddeutung: Roman (German Edition)
und dies auch getan.
F. Welchen Zweck hat er dafür angegeben?
A. Er hat gesagt, er bereitet junge Damen auf die Bühne vor.
F. Hat er andere Personen auf sein Zimmer mitgenommen?
A. Meistens junge Frauen von fünfzehn aufwärts. Sie wollten eine Bühnenkarriere einschlagen.
F. Gab es bei den Besuchen dieser Mädchen irgendwelche ungewöhnlichen Vorfälle?
A. Ja. Ein junges Mädchen war mit auf sein Zimmer gegangen. Kurz darauf habe ich Schreie gehört und bin hochgelaufen. Sie war an den Bettpfosten gefesselt. Er hatte eine Peitsche in der rechten Hand und holte gerade zum nächsten Schlag aus. Sie war über und über mit Striemen bedeckt.
F. Was hatte sie an?
A. Fast nichts.
F. Was ist dann passiert?
A. Er war wie von Sinnen und ist davongerannt. Sie hat mir gesagt, dass er sie umbringen wollte.
F. Können Sie die Peitsche beschreiben?
A. Es war eine Hundepeitsche. In diesem Fall.
F. Gab es auch andere Fälle?
A. Ein anderes Mal waren es zwei Mädchen. Die eine war nackt, die andere teilweise ausgezogen. Er hat sie beide mit einer Reitgerte ausgepeitscht.
F. Haben Sie ihn je darauf angesprochen?
A. Ja, das habe ich. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass das alles junge Mädchen sind und dass er kein Recht hat, sie auszupeitschen.
F. Wie hat er seine Handlungen erklärt?
A. Er hat sie überhaupt nicht erklärt. Er hat gesagt, dass sie es brauchen.
F. Haben Sie je die Polizei verständigt?
A. Nein.
F. Warum nicht?
A. Er hat gedroht, dass er mich umbringt, wenn ich das mache.
KAPITEL FÜNFZEHN
Auf unserem Weg von Brills Wohnung zum Hotel wechselte Freud das Thema. »Kommen Sie, erzählen Sie uns doch, wie Sie mit Miss Nora vorankommen.«
Ich zögerte, doch Freud versicherte mir, dass ich vor Ferenczi genauso frei sprechen konnte wie vor ihm. Also berichtete ich ausführlich über die Sitzung mit Miss Acton: die von der vierzehnjährigen Nora beobachtete verbotene Begegnung zwischen Mr. Acton und Mrs. Banwell, die Freud irgendwie erwartet hatte; der gegen mich gerichtete Wutausbruch des Mädchens im Hotel; das offenbare Wiedererlangen ihres Gedächtnisses und die Identifizierung George Banwells als ihren Angreifer; sowie die plötzliche Ankunft von Banwell selbst, in Begleitung von Noras Eltern und des Bürgermeisters, der Banwell ein Alibi gab.
Nachdem Ferenczi seiner Aversion gegen die Art des Verkehrs zwischen Mrs. Banwell und Harcourt Acton Ausdruck verliehen hatte – eine Reaktion, die ich vonseiten eines Psychoanalytikers nicht so recht verstehen konnte -, fragte er, weshalb Banwell Nora nicht angegriffen haben konnte, selbst wenn er nicht der Mörder des anderen Mädchens war. Ich erklärte, dass ich den Detective genau auf diesen Punkt angesprochen hatte und dass es offensichtlich klare Beweise dafür gab, dass beide Überfälle vom selben Täter ausgeführt worden waren.
»Ich finde, wir sollten die Spurensuche lieber der Polizei überlassen«, warf Freud ein. »Wenn die Analyse der Polizei helfen kann, dann soll es uns recht sein. Wenn nicht, dann ist wenigstens der Patientin geholfen. Ich habe zwei Fragen an Sie, Younger. Erstens: Nora behauptet, dass sie damals nicht verstanden hat, was zwischen Mrs. Banwell und ihrem Vater vorgegangen ist. Finden Sie das nicht seltsam?«
»Die meisten amerikanischen Mädchen sind mit vierzehn Jahren diesbezüglich ziemlich schlecht informiert, Dr. Freud.«
»Das leuchtet mir durchaus ein«, erwiderte Freud. »Aber das habe ich nicht gemeint. Ihre Bemerkung lässt sich nämlich auch so auslegen, dass sie inzwischen sehr wohl versteht, was sie damals beobachtet hat.«
»Ja.«
»Würden Sie erwarten, dass eine Siebzehnjährige mehr über diese Dinge weiß als eine Vierzehnjährige?«
Mir wurde klar, worauf er hinauswollte.
»Wie kann es sein«, fragte Freud, »dass sie heute weiß, was sie damals nicht gewusst hat?«
»Sie hat gestern angedeutet, dass sie Bücher mit freizügigem Inhalt liest.«
»Aha, in Ordnung, sehr gut. Nun, ich glaube, wir müssen da noch genauer nachdenken. Doch zunächst meine zweite Frage: Können Sie mir erklären, warum sie auf Sie losgegangen ist, Younger?«
»Sie meinen, warum sie Tasse und Untertasse nach mir geworfen hat?«
»Ja.«
»Und warum sie hat mit kochende Teekanne zugeschlagen?«, ergänzte Ferenczi.
Ich wusste keine Antwort.
»Ferenczi, können Sie unseren Freund aufklären?«
»Ich tappe im Dunkeln genauso«, antwortete Ferenczi. »Sie ist verliebt in ihn. Das ist eindeutig.«
Freud
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