Mordkommission
spät kam. Ohne weitere Veränderungen am Tatort
vorzunehmen, hatten sich die Rettungskräfte wieder aus der Wohnung zurückgezogen und den Kriminaldauerdienst verständigt.
Das ist bei unklaren Todesfällen so üblich, wenn nicht feststeht, ob nicht vielleicht ein Unfall oder Suizid vorliegt.
Im abgesperrten Korridor des Erdgeschosses traf ich auf die Kollegen des KDD. Mittlerweile waren auch meine beiden Kollegen unserer Mordbereitschaft und die Staatsanwältin vor Ort. Wir erfuhren, wie die
Leiche entdeckt worden war. Ein Mitarbeiter des Restaurants, in dem die Tote, Bian V., gearbeitet hatte und in dem man sie
als außergewöhnlich pünktlich und zuverlässig schätzte, hatte sich Sorgen gemacht, weil seine Kollegin unentschuldigt nicht
zur Arbeit erschienen war. Seine wiederholten Versuche, sie telefonisch zu erreichen, schlugen fehl. Besonders beunruhigte
ihn, dass ihr Handy abgeschaltet war. Mit einem Kollegen suchte er ihre Wohnung auf. Nachdem auf ihr Klingeln und Klopfen
nicht geöffnet wurde, entschlossen sich die beiden, Vermisstenanzeige zu erstatten. Da die Kriterien dafür jedoch zu diesem
Zeitpunkt nicht erfüllt waren, hatte man die Männer gebeten, damit noch zu warten. Daraufhin waren beide nochmals zur Wohnung
gefahren; diesmal aber hatten sie aus dem Lokal eine kleine Leiter mitgenommen, mit deren Hilfe sie durch das Fenster in die
Wohnung blicken konnten. Und dabei hatten sie Bian V. in einer großen Blutlache auf dem Boden entdeckt.
Inzwischen waren die Beamten des Erkennungsdienstes mit ihrem Equipment vollzählig am Tatort eingetroffen und begannen mit
der fotografischen Dokumentation und |126| mit der Spurensicherung. Nach geraumer Zeit kam einer der Beamten aus dem Appartement zu mir in den Hausflur und sagte, dass
ich mir nun selbst ein Bild machen könne. Die Spurensicherungsmaßnahmen im Flur und im vorderen Bereich des Wohnraumes waren
so weit abgeschlossen, dass ich keine Spuren mehr verändern oder vernichten konnte.
Es ist üblich, dass bei einem Kapitaldelikt zunächst ausschließlich Beamte des Erkennungsdienstes in ihrer Schutzkleidung
einen Tatort betreten. Doch sind in der Regel bereits Auffindungszeugen, Sanitäter oder Erstzugriffsbeamte vor Ort gewesen,
die – sei es aus der anfänglichen Unkenntnis, sich an einem Tatort zu befinden, oder durch die Notwendigkeit, Erste Hilfe
zu leisten – natürlich ganz normale Kleidung trugen. Um keine weiteren Spuren zu verändern, zu vernichten oder neue Spuren
zu legen, wird daher ein Tatort ab dem Moment, da die Tat erkannt wird und keine weiteren Rettungsmaßnahmen mehr erforderlich
sind, abgeriegelt, er ist dann eigentlich nur für die Spezialisten des Erkennungsdienstes zugänglich. Erst wenn diese »grünes
Licht« geben, sollten andere Personen den Tatort betreten. Dass sich in der Praxis immer wieder Kollegen nicht an diese Regel
halten, hängt vermutlich mit ihren schlechten Vorbildern aus Krimiserien zusammen.
In der Wohnung war anhand diverser Blutspuren – auch an den Wänden und am Mobiliar – zu erkennen, dass das Opfer wohl noch
versucht hatte, seinem Mörder zu entkommen. Zahlreiche Bilder an Wänden und auf Kommoden und Schränken zeigten eine atemberaubend
hübsche, lächelnde und lebensfrohe junge Frau; dieselbe Frau, die nun auf bestialische Weise verstümmelt zu unseren Füßen
lag. Ich bin mir sicher, dass ich in diesem Moment nicht der Einzige war, der sich beim Anblick dieser fröhlichen Fotos geschworen
hat, alles daranzusetzen, dass der Täter nicht ungeschoren davonkommen würde.
Mittlerweile waren genügend Unterstützungskräfte eingetroffen, sodass wir mit der Befragung der Hausbewohner und zeitgleich
mit der Absuche der Umgebung nach Spuren und Beweismitteln beginnen konnten. In dem Haus wohnten |127| überwiegend Asylbewerber, wodurch es zu diversen Verständigungsschwierigkeiten kam. Die Bewohner der beiden Wohnungen links
und rechts des Tatorts waren seit längerer Zeit nicht mehr im Haus gesehen worden; niemand konnte uns sagen, wo sie sich derzeit
aufhielten. Daher setzten wir unsere Hoffnung auf das Appartement oberhalb der Tatwohnung, in dem drei Asylbewerber aus Äthiopien
lebten, die nach Angaben anderer Bewohner ihre Wohnung seit Tagen kaum verlassen hatten. Möglicherweise hatten sie ja etwas
gehört, einen Streit oder umfallendes Mobiliar; damit wäre es vielleicht möglich, die Tatzeit einzugrenzen.
Tatsächlich trafen
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