Mordkommission
mindestens
drei aufeinanderfolgenden Tagen am Tatort gewesen, was sich aus den Beobachtungen verschiedener Zeugen über die Vorhänge und
Jalousien ergab. Der Täter hatte aufgeräumt und ein Inserat aufgegeben, in dem er das Haus zur Vermietung anbot. Alles Dinge,
die von außen wahrgenommen werden konnten. Befürchtete er denn nicht, dass jemand Verdacht schöpfen oder Günter W. vermissen
und nach dem Rechten schauen würde? Hätte nicht jederzeit und unangemeldet ein Familienangehöriger das Haus betreten und den
Täter überraschen können? Und was hatte den Täter überhaupt dazu bewogen, das Haus zu inserieren? Warum hatte er sich dem
Risiko ausgesetzt, das Inserat persönlich aufzugeben? Hatte er keine Angst, dass ihn die Dame am Schalter identifizieren oder
zumindest beschreiben könnte? Hatte das Inserat nur |170| den einen Zweck, möglichst viele Interessenten zu einem Anruf zu verlocken, um der Polizei nach der Auswertung der Telefonverbindungsdaten
möglichst viele potenzielle Verdächtige zu bescheren? Warum hatte er wertlose Radios mitgenommen und dafür wertvolle Antiquitäten
und eine teure Fotoausrüstung zurückgelassen? Gehörte er womöglich zum Kreis der Erben und wusste daher, dass ihm diese Wertgegenstände
ohnehin zufallen würden? Wie war es zu erklären, dass der Motorroller sorgfältig gegen Umfallen gesichert und vor Regen geschützt
war? Warum hatte der Täter die Flügelmutter des Reifens in der Garage nicht einfach weggeworfen? Meinte er, dass er sie bald
wieder benötigen würde? Was konnte es aus Sicht des Täters für einen Sinn haben, das auf den ersten Eindruck völlig leere
Zimmer im ersten Stock nach der Tat abzusperren und den Schlüssel in die Schublade eines Flurschränkchens zu legen? Waren
die rote Jacke und der Rucksack nur deshalb mitgenommen worden, um die Ermittlungen der Polizei in Richtung eines Bergunfalls
zu leiten und so von einem Raubmord abzulenken? Und – warum hatte er die Leiche überhaupt mitgenommen? Das Risiko, mit einem
Toten im Auto in eine Kontrolle zu geraten, war schließlich nicht von der Hand zu weisen!
Wir stimmten schon bald darin überein, dass manche dieser Fragen eigentlich nur dann sinnvoll beantwortet werden konnten,
wenn man unterstellte, dass der Täter genau wusste, dass er einige Tage lang völlig ungestört sein würde. Wer aber konnte
diesbezüglich sicher sein? Fragen über Fragen, doch die passenden Antworten ließen auf sich warten.
Wieder und wieder suchten wir den Tatort nach weiteren Hinweisen ab, und wir vernahmen alle möglichen Leute und Zeugen. Erst
allmählich zeigte sich, wie groß der Kreis der mit Günter W. bekannten Personen tatsächlich war. Nicht nur die Befragung von
Angehörigen und Freunden, sondern auch die Auswertung seiner Adressverzeichnisse und seines Computers, seiner Telefonverbindungsdaten
und seiner Bankunterlagen brachte immer wieder neue Kontakte |171| zum Vorschein. Der vermisste Konditormeister hatte sieben noch lebende Geschwister, verkehrte im Kreise einer Landsmannschaft
ebenso wie in einem Theaterzirkel, hatte im Rahmen seiner Berufsschultätigkeit zahllose Lehrlinge betreut, und er hatte Kontakte
zu allen möglichen Konditoreien, Kochbuchverlagen und Verbänden im In- und Ausland. Er besuchte zuletzt auch einen Englischkurs
an der Volkshochschule und traf sich mit den Kursteilnehmern zur Vertiefung des Lehrstoffes bei sich zu Hause. Legendär war
sein jährliches Krapfenessen, zu dem zahllose Freunde eingeladen wurden, und er unterhielt als langjähriger Bewohner der Siedlung
gute Beziehungen zur gesamten Nachbarschaft. Um dieses immense Spurenaufkommen zu bewältigen, arbeiteten zeitweise bis zu
zehn Beamte zeitgleich in unserer Ermittlungsgruppe. Doch trotz der enorm aufwändigen Ermittlungen verliefen alle Spuren nach
und nach im Sand.
Immer wieder unterstützten uns die verschiedensten Medien bei unseren Ermittlungen. Boulevardpresse und Magazine, Fernsehsender
und Rundfunkanstalten berichteten über den Fall und baten Zeugen, sich bei uns zu melden. Doch selbst ein bundesweiter Fahndungsaufruf
in der Fernsehsendung ›Aktenzeichen XY … ungelöst‹ erbrachte keine heiße Spur. Die von uns im gesamten Stadtviertel ausgehängten Fahndungsplakate führten ebenfalls
zu keinem Hinweis, der uns irgendwie weitergeholfen hätte. Es schien immer mehr so, als stamme der Täter möglicherweise aus
dem engeren Umfeld des Opfers.
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