Mordkommission
Stelle massiv eingeblutet war.
Obwohl zunächst nicht eindeutig ersichtlich war, ob das Blut an der Bettdecke nicht auch von einer älteren Verletzung stammen
konnte, schien mir die massive Blutantragung doch eher mit dem Verschwinden des Mannes zu tun zu haben.
Insgesamt machte das Haus einen ordentlichen Eindruck, offensichtliche Beschädigungen, Kampf- oder Aufbruchspuren waren –
mit Ausnahme der bereits beschriebenen Auffälligkeiten und eines abgerissenen Handtuchhakens im Bad – nicht festzustellen.
Wertvolle Antiquitäten und eine hochwertige Fotoausrüstung waren nach Auskunft der Söhne vollständig vorhanden. Wenn der Vermisste
tatsächlich einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, dann hatte sich der Täter offenkundig mit Bargeld, Sparbüchern und zwei
von insgesamt fünf alten Röhrenradiogeräten als Beute begnügt. Richtig stutzig wurden wir, als uns Stefan W. erzählte, dass
er bei seinem letzten Besuch vor zwei Wochen, über die Weihnachtstage, in seinem ehemaligen Jugendzimmer übernachtet hatte
und damals eines der beiden fehlenden Röhrenradios definitiv noch im Regal stand.
Die Stromzuleitung für das Radio führte von einer Steckdose an der Zimmerwand durch ein kleines Loch in der Rückwand des Regals
bis zu dem Radio. Um das Stromkabel dort durchzuziehen, hatte der Sohn vor Jahren den Stecker |166| vom Kabel geschraubt, das Kabel ohne den ansonsten zu dicken Stecker durch das gebohrte Loch gezogen und den Stecker anschließend
wieder mit dem Kabel verbunden.
Stefan W. hatte sich mit seinem Vater über die erstaunlich gute Klangqualität des uralten Radios unterhalten, und dieser hätte
keinesfalls ohne Rücksprache das Radio seines Sohnes entsorgt oder verkauft. Da vollends auszuschließen war, dass der Vermisste
mit zwei alten Röhrenradios zum Bergwandern gegangen war, musste jemand die Radios an sich genommen haben. Aber wer und warum?
Da die Rückwand des Regals, in dem das eine Radio gestanden hatte, unversehrt war, musste der Unbekannte den Stecker abgeschraubt
oder das Kabel durchgeschnitten haben, um das Radio mitzunehmen. Warum aber hatte er dann nicht einfach eines der anderen
Radios aus dem Haus mitgenommen? Dies wäre völlig problemlos möglich gewesen.
Hing am Ende das Verschwinden des scheinbar biederen Konditormeisters mit dem Radio zusammen? War in dem Radio etwas verborgen,
das der Unbekannte – wenn es ihn tatsächlich gab – um jeden Preis an sich bringen wollte? Um jeden Preis? Führte der Vermisste
womöglich ein Doppelleben, von dem niemand etwas ahnte?
In unsere Überlegungen hinein klingelte immer wieder das Telefon, es waren Leute, die sich aufgrund des Inserates für das
Haus interessierten. In Anbetracht aller bekannten Umstände wurde beschlossen, unserer Mordkommission die weiteren Ermittlungen
zu übertragen. Es stand zu befürchten, dass der Vermisste tatsächlich Opfer eines Gewaltverbrechens geworden war.
Aus den bisher bekannt gewordenen Fakten und den daraus resultierenden Überlegungen ergab sich eine Reihe unterschiedlichster
Ermittlungsansätze. Zum einen konnte nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass dem Vermissten beim Wandern ein Unglück
zugestoßen war. Doch alle Anfragen bei Krankenhäusern, bei der Bergwacht und Rettungsorganisationen im gesamten Alpenraum
verliefen negativ. Nirgends war im fraglichen Zeitraum eine Lawine |167| abgegangen, in keinem Krankenhaus lag ein unbekannter Verletzter, auf den die markante Beschreibung des Konditormeisters zugetroffen
hätte. Auch gab es weder auf Skilift- noch auf Wanderparkplätzen herrenlose Fahrzeuge (das Auto des Konditors stand ja in
der Garage), wie die enorm aufwändigen Überprüfungen durch bayerische, österreichische und Schweizer Dienststellen schließlich
ergaben.
Des Weiteren mussten wir die Vergangenheit des Mannes auf dunkle Seiten überprüfen. Um es gleich vorwegzunehmen: Der Vermisste
war ein Mann ohne Fehl und Tadel, dunkle Machenschaften oder ein Doppelleben konnten mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen
werden.
Eine vielversprechende Spur schien sich durch das Inserat zu ergeben: Es war direkt am Schalter der Zeitung aufgegeben und
bar bezahlt worden. Damit gab es einen Augenzeugen, der den Inserenten gesehen hatte! Kurz darauf dann die Enttäuschung: Die
Dame am Schalter konnte sich zwar erinnern, das Inserat entgegengenommen zu haben – sie hatte sich nämlich über die niedrige
Miete gewundert
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