Mordkommission
Schriftprobe machte Sinn, denn wir
hatten zuvor ein Gutachten erhalten, aus dem eindeutig hervorging, |176| dass der Auftrag für das Inserat nicht vom Opfer ausgefüllt worden war.
Die Vernehmung erfuhr erst dann eine plötzliche Wende, als wir ihn fragten, wo er zur tatrelevanten Zeit gewesen sei. Er gab
an, sich vom 1. Januar an für zehn Tage geschäftlich in Holland aufgehalten zu haben. Ja, er habe sein Handy kurz vor der Fahrt verloren und
daher das Handy seiner Lebensgefährtin während der Reise stets bei sich gehabt; er habe es zu keinem Zeitpunkt verliehen oder
vermisst. Nein, in München sei er schon lange nicht mehr gewesen, auf keinen Fall jedoch zur Tatzeit. Das könne er ausschließen.
Zeugen für seinen Aufenthalt in Holland könne er bedauerlicherweise nicht benennen, er habe einfach nach Arbeit gesucht und
nachts in seinem Wohnmobil geschlafen.
Mit dieser Aussage stand für uns eines fest: Der Mann vor uns log. Damit aber ergab sich ein Anfangsverdacht gegen ihn, weshalb
wir die Zeugenvernehmung sofort abbrachen. Ich eröffnete ihm, dass ich aufgrund seiner Aussage, die eklatante Widersprüche
zu unseren Ermittlungsergebnissen aufweise, nunmehr davon ausgehen müsse, dass er mit dem Verschwinden und der Ermordung des
Münchner Konditormeisters etwas zu tun habe. Dann belehrten wir ihn über seine Rechte als Beschuldigter. Zudem erklärte ich
ihm die vorläufige Festnahme und wir durchsuchten ihn nach gefährlichen Gegenständen. Nach längerem Zögern räumte der nunmehr
Beschuldigte schließlich ein, tatsächlich zur Tatzeit zufällig in München gewesen zu sein; dabei habe er den Konditormeister,
den er ja von früher kannte, aufgesucht, um ihn zu fragen, ob er bei ihm übernachten könne. Der Mann sei jedoch sehr abweisend
gewesen und so sei er unverrichteter Dinge wieder gegangen. Allerdings habe er beim Weggehen in einem unbeobachteten Augenblick
Günter W.s Scheckkarte aus einer Sakkotasche im Windfang entwendet und aus Verärgerung über die Abfuhr auf das Konto seiner
Lebensgefährtin den Betrag von etwas mehr als tausend Euro überwiesen.
Unsere Nerven waren zum Zerreißen gespannt – saß uns |177| der Mörder des Konditormeisters gegenüber? Als wir ihn nochmals darauf hinwiesen, dass die Schrift auf dem Bestellschein für
das Inserat mit seinen Schriftproben verglichen werden würde, räumte der Mann plötzlich ein, auch das Inserat aufgegeben zu
haben. Weiter wollte er sich ohne Anwalt nicht mehr äußern. Wir hatten das natürlich zu respektieren. Bevor wir die Vernehmung
jedoch beendeten, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, der mir im selben Moment als so unwahrscheinlich erschien, dass ich
ihn schon wieder verwerfen wollte: Bewahrte der Beschuldigte womöglich das verräterische Röhrenradio bei sich zu Hause auf?
Kaum vorstellbar – und dennoch nicht auszuschließen. Was sonst hätte er mit dem wertlosen Ding machen sollen? So erkundigte
ich mich bei dem Beschuldigten, ob er ein Radiogerät in seiner Wohnung habe. Mit merkwürdig lauerndem Blick wiederholte der
Mann gedehnt meine Frage, um dann kaum verständlich zu antworten, dass er ein ganz kleines Transistorradio besitze. Ich bohrte
weiter und wollte wissen, ob er vielleicht noch ein anderes Radio habe – zum Beispiel ein altes, so eines mit Röhren? Sein
erschrockener Blick und sein gemurmeltes »möglich, vielleicht …« verrieten mir, dass ich auf der richtigen Spur war. Die Kollegen blickten mich erstaunt an. Sie verstanden erst, als ich
– jetzt mit leiser Stimme – nachhakte: »Haben Sie ein altes Röhrenradio zu Hause, bei dem … das Stromkabel durchgeschnitten ist?« Atemlose Stille. Dann senkte der Beschuldigte erst den Blick und dann seine Schultern.
Und schwieg. Deutlicher hätte er in dieser Situation nicht antworten können. Es war bereits nach Mitternacht, als ich auf
Gefahr im Verzug hin die sofortige Durchsuchung seiner Wohnung nach einem Röhrenradio anordnete. Mit Unterstützung einer uniformierten
Streife der Polizeiinspektion in Hof machten wir uns auf den Weg. Es dauerte nur wenige Minuten, bis einer der Kollegen, die
das Schlafzimmer durchsuchten, zu mir ins Wohnzimmer kam. Ich sah ihm bereits an, dass er fündig geworden war, noch ehe er
mit aufgeregter Stimme sagte: »Ich hab’s gefunden! Im Schlafzimmerschrank!«
|178| Auf der oberen Ablage im Schrank stand genau so ein Radio, wie es aus dem ehemaligen Kinderzimmer im
Weitere Kostenlose Bücher