Mordkommission
im Landhausstil nehmen.
Komisch, welche Gedanken einem in solchen Situationen durch den Kopf gehen. »Schmuckes Haus im Landhausstil« – als ob das
jetzt irgendeine Bedeutung hätte! Während die Eltern auf ihrer von Sorge getriebenen Fahrt noch hofften, ihre Tochter schon
bald in die Arme schließen zu können, warteten wir hier draußen und kannten bereits die unbarmherzige Wahrheit. Gleich würde
für ein Elternpaar eine Welt zusammenbrechen. Und |213| ich musste die Botschaft überbringen, meine Worte würden entsetzliches Grauen in ihren Augen auslösen. Ich sehnte mich weit
weg, irgendwohin, wo ich niemandem weh tun musste, irgendwohin, wo es keinen Tod und kein Leid gab. Die Sekunden dehnten sich
zu Ewigkeiten. Drei Mal waren Fahrzeuge auf unsere Straße abgebogen, und jedes Mal hatte ich wie gelähmt auf die Scheinwerfer
gestarrt, unfähig, mir ein paar Worte zurechtzulegen. Flüchtig dachte ich daran, was alles während meiner Polizeiausbildung
behandelt worden war – offenbar aber hatte es niemand für wichtig erachtet, in den Lehrplan das Thema aufzunehmen, wie man
Eltern erklärt, dass ihr Kind tot ist.
Im vierten Auto saßen die Eltern. Es war kurz nach 22 Uhr. Das Auto rollte in der Parkbucht aus, der Motor lief weiter, die Scheinwerfer brannten, die Türen blieben offen stehen,
als eine Frau und ein Mann durch den weichen Schnee auf uns zugelaufen kamen. Als sie uns dort stehen sahen, wussten sie schon
alles. Ein kaum verständliches und doch schon zutiefst verzweifeltes »Nein …!« war alles, was der Vater noch sagen konnte. Das, was danach folgte, ehe mein Kollege und ich uns in den frühen Morgenstunden
verabschiedeten, werde ich Ihnen ersparen. Doch noch heute, Jahre später, sehe ich jede Einzelheit dieses Moments wie in einem
Film vor mir ablaufen. Ich wünsche mir, so eine Situation nie wieder erleben zu müssen. An dieser Stelle ist es mir ein Anliegen,
mich bei meinem Kollegen Raimund herzlich zu bedanken, der mir durch seine innere Kraft geholfen hat, diese Nacht zu überstehen.
Da die Ermittlungen keinerlei Zweifel aufkommen ließen, dass der Mann zuerst seine Freundin erstochen und sich anschließend
aufgehängt hatte, wurde das Verfahren gegen den Täter eingestellt. Dies sieht unsere Strafprozessordnung so vor. Das Leid
der Eltern, sowohl der Eltern des Mädchens als auch das Leid der Eltern des Täters, aber bleibt bestehen. Für immer.
|214| Angst vor dem Alleinsein
Eine ganz andere Form von »erweitertem Suizid« lag bei dem folgenden Einsatz vor. Die gesamte Dienststelle nahm gerade in
Wasserburg an der Beerdigung eines Kollegen teil, der kurz nach seiner Pensionierung den jahrelangen Kampf gegen seine heimtückische
Krankheit verloren hatte. Da erreichte mich nach der Beisetzung noch am Friedhof ein Anruf des Kriminaldauerdienstes. In einer
Wohnung im Osten Münchens hatte man die Leichen eines Mannes und einer Frau gefunden, die beide Schussverletzungen im Kopfbereich
aufwiesen. In der Wohnung lag eine Waffe, möglicherweise hatte der Täter sich selbst gerichtet. Zusammen mit den beiden Kollegen
meiner Kommission, die mit mir Bereitschaft hatten, fuhren wir im Konvoi mit Sondersignalen zurück nach München.
Am Einsatzort erwarteten uns die Beamten des Erkennungsdienstes und des Kriminaldauerdienstes. Aufgrund der vorgefundenen
Situation, der Auswertung der Spurenlage und einer telefonischen Ankündigung des Rentners bestand mittlerweile kein Zweifel
mehr daran, dass es sich tatsächlich um einen erweiterten Selbstmord handelte. Der Mann, ein hochbetagter Rentner, hatte kurz
zuvor bei seinem schwerkranken Sohn in Franken angerufen und gesagt: »Die Oma schläft und wir werden beide gleich tot sein.«
Der Sohn bat daraufhin seinen eigenen Sohn, sofort bei seinem Opa anzurufen. Dieser hob den Hörer ab, sagte: »Die Oma ist
tot und ich erschieß mich jetzt!« und legte auf. Auf weitere Anrufe reagierte er nicht mehr. Der Enkel verständigte sofort
die Polizei, die ihrerseits Streifenwagen und einen Notarzt zur Wohnung des Rentners schickte. Obwohl die Rettungskräfte sehr
schnell am Einsatzort ankamen, konnten sie für das Ehepaar nichts mehr tun. Die Frau lag tot im Bett; vermutlich war sie im
Schlaf erschossen worden. Nichts deutete darauf hin, dass sie in irgendeiner |215| Weise versucht hatte, dem tödlichen Schuss auszuweichen. Der Rentner verstarb kurz nach dem Eintreffen des Notarztes.
Der Versuch,
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