Mordlast
Am liebsten wäre es uns ja gewesen, wenn es im Krieg weggebombt worden wäre.«
Davídsson nickte. Er konnte es verstehen, jedenfalls teilweise.
»Früher war das ganze Gebiet, wo jetzt der Pilz steht, auch Teil der Kleingartenanlage. Als man einen geeigneten Platz für die Messungen suchte, dachte man wahrscheinlich, dass es von den Kleingärtnern am wenigsten Widerstand geben würde.«
»Und?«
»Es war auch so. Damals hat man sich nicht besonders gewehrt, aber das war ja auch eine andere Zeit. Man war obrigkeitshöriger und die Nazis haben auch keinen Spaß verstanden, wenn man sich ihnen zur Wehr setzte.«
»Und nach dem Krieg?«
»Wir haben uns so gut es ging damit arrangiert. Manche haben ihren Protest auf ihre Weise gezeigt. Mein Vorgänger hier hat zum Beispiel seinen gesamten Kompost über den Zaun geworfen und manchmal auch anderen Müll.«
Die Sonne schaffte es, für ein paar Minuten durch die dicken Wolken zu kommen.
Bald wird es hier wieder nach Grillfleisch riechen und die Leute werden bis nach Mitternacht im Freien sitzen, dachte Davídsson. Damit konnte er schon wesentlich mehr anfangen. Die Isländer liebten das Grillen. Fast jeder hatte einen Grill auf dem Balkon oder im Garten, um die nie enden wollenden Tage im Sommer zu genießen und zu überbrücken.
»Woher wissen Sie das mit dem Müll?«, fragte er jetzt.
Schuhmann überlegte einen Moment.
»Ich glaube, er hat es mir gesagt.«
Davídsson beobachtete einen Mann mit einem langen dunklen Mantel, der an ihnen vorbeilief. Er passte genauso wenig hierher wie Davídsson.
»Wir haben uns kurz gesprochen, als ich diesen Platz übernommen habe. Ich glaube, da hat er mir das erzählt.«
»Sicher sind Sie sich aber nicht?«
»Na ja, es kann auch sein, dass es mir jemand anderes erzählt hat. Immerhin bin ich im Vorstand des Vereins. Ist das denn so wichtig?«
»Ich weiß es nicht. Bei den Ermittlungen kann alles wichtig sein, oder nichts. Im Voraus weiß man das meistens nicht.«
»Mein Nachbar auf der rechten Seite«, er deutete zu einer anderen Hütte, die viel kleiner war, »hat früher einmal beantragt, auf dem Grundstück des Schwerbelastungskörpers einen Fuchs zu halten.«
»Und?«
»Er durfte es. Ein anderer Nachbar, der seinen Garten ein paar Parzellen weiter hat, hatte die Erlaubnis, da drüben Kaninchen zu züchten.«
Davídsson beobachtete, wie der Mann mit dem schwarzen Mantel wieder zurückkam. Dabei dachte er an etwas, das er beinahe schon wieder vergessen hatte. Etwas, das vielleicht viel wichtiger war als der Fuchs auf dem Gelände des Schwerbelastungskörpers. Er dachte an den Toten und seine ungewöhnliche Kleidung – an den Kutschermantel.
»Wann war das?«
»Das ist alles schon einige Jahre her. Damals wurde das Ding noch genutzt. Zwar nicht richtig, aber man hat es noch als Totlast gebraucht. Meinem Vorgänger haben sie allerdings verboten, dort einen Bienenstock aufzubauen. Sie haben ihm gesagt, dass die Bienen eine Gefahr für die Mitarbeiter sein könnten.« Er suchte Davídssons Blicke. »Das hat er mir selbst erzählt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, weil ich mich damals gefragt habe, was der Unterschied zwischen einem Fuchs und Bienen ist. Wenn der Fuchs die Tollwut hat, ist das doch viel gefährlicher für diese Mitarbeiter.«
Davídsson hatte Marian Zajícek angerufen, um ihn zu fragen, ob sie sich noch auf ein Abendessen in seinem Lieblingslokal treffen wollten.
Als Ólafur Davídsson Charlottenburg erreichte, begann es leicht zu nieseln.
Sein Lieblingslokal war nicht weit vom Savignyplatz entfernt und hieß ›Der alte Schwede.‹ Der Inhaber, Ulf Mansson, war Schwede und fuhr mindestens einmal im Monat zurück in seine Heimat, um dort die Originalzutaten für seine Gerichte einzukaufen. Für ausgewählte Gäste, wozu der schwedische Botschafter, aber auch Davídsson zählte, hielt er auch immer ein paar Flaschen Pripps Blå auf Vorrat.
Davídsson hatte das Lokal durch Zufall gefunden und war eine Zeit lang fast jeden Sonntag dort zu Gast. Erst viel später hatte er gelesen, dass das Lokal in einigen Zeitungsartikeln empfohlen wurde und im Westteil der Stadt für sein gutbürgerliches schwedisches Essen und vor allem für sein Rentier- und Elchfleisch bekannt war, das Ulf Mansson mit einer Mischung aus Pfifferlingen und Champignons, Preiselbeergelee und leicht süßlich schmeckenden gebackenen kleinen Kartoffeln aus Schweden servierte.
Er wartete einen Augenblick im Auto bei
Weitere Kostenlose Bücher