Mordlicht
Duft war ein anderer.
»Haben Sie schon gehört?«
»Nein, ich bin gerade erst gekommen.«
»Der ›Schubser‹ hat wieder zugeschlagen.« Dann
berichtete der Leiter der Polizeiinspektion im Telegrammstil vom Überfall des
Vorabends. »Die Überfallene wurde erst eine Stunde nach dem Überfall gefunden.
Durch Zufall. Zu dem Zeitpunkt war es schon dunkel auf dem Friedhof. Sie liegt
im Kreiskrankenhaus. Außer einem Schock, den sie erlitten hat, hat sie sich den
Arm sowie zwei Rippen gebrochen. Der Täter, der schon länger sein Unwesen
treibt, wird immer dreister. Und brutaler. Das Ganze für eine Beute von
fünfzehn Euro, die Frau Christensen noch bei sich hatte. Die Handtasche ist
heute Morgen zwischen einem Stapel gelber Säcke gefunden worden, die am
Straßenrand der Klaus-Groth-Straße zur Abholung bereitstanden. Offenbar ist
außer dem Bargeld nichts weiter entwendet worden.«
»Ist die Handtasche schon zur Spurensicherung?«
»Alles in die Wege geleitet. Mommsen hat sich darum
gekümmert, nachdem Sie gestern nicht erreichbar waren.«
Stimmt, dachte Christoph, er hatte das Handy
abgeschaltet, als er bei Anna Bergmann zum Abendessen war.
»Das sollte nicht oft vorkommen, mein Junge«, mahnte
Grothe. »Ein Polizist in Ihrer Position ist immer im Dienst. Wie soll es nun
weitergehen? Die Presse stellt mittlerweile kritische Fragen in Richtung
Polizei.«
»Wir haben bisher keine Anhaltspunkte. Es gibt nicht
eine verwertbare Spur, die auf den ›Schubser‹ weist.«
»Sehen Sie zu, dass der Fall gelöst wird. Die Leute
hier werden unruhig. Das mag ich nicht haben in meinem Amtsbereich.«
Damit war Christoph entlassen.
»Wo kommst du jetzt her? Es ist schon halb neun«,
empfing ihn Große Jäger im Büro.
»Das musst du gerade sagen. Üblicherweise bist du der
Letzte, der hier morgens erscheint.« Christoph war missmutig über die
Begrüßung. Vorhin, als er von Annas zu seiner Wohnung zurückkehrte, um die
Wäsche zu wechseln, war er seiner Vermieterin auf der Treppe begegnet.
»Herr Johannes. Waren Sie die ganze Nacht unterwegs?«
Nachdem er wortlos genickt hatte, war ihm die alte
Dame auf der steilen Holztreppe nachgestiegen. »Sie sollten sich etwas mehr
Erholung gönnen. Auch ein Polizist kann nicht ununterbrochen Tag und Nacht im
Einsatz sein. Und wenn Sie eine schwere Nachtschicht hinter sich haben, muss
man Ihnen doch den Tag zur Regeneration lassen. Ich verstehe ja, dass überall
Personalmangel herrscht. Man liest das immer in der Zeitung. Ich kann nicht
ver…« Der Rest des Wortschwalls war untergegangen, als Christoph die Tür zu seinem
Appartement mit einem unfreundlichen »Ja« hinter sich geschlossen hatte.
Jetzt machte ihm der Oberkommissar Vorhaltungen.
»Während du Happy Hour gemacht hast, war hier
Aufruhr«, fuhr Große Jäger mit seinen Anwürfen fort.
Christoph winkte ab. »Alter Hut. Ich weiß schon
Bescheid. Was macht dein Köter?«
»Mit dem war ich schon in aller Frühe unterwegs. So
ein Hund hält jung. Man gewinnt einen anderen Lebensrhythmus. Du solltest dir
auch einen anschaffen. Das ist gut gegen die Einsamkeit am Abend«, stichelte
der Oberkommissar weiter. Dann zündete er sich eine Zigarette an, schlürfte
laut seinen Kaffee und begann zu berichten: »Ich war gestern noch bei Reiches
Bank in Leck. Nachdem man sich dort erst ein wenig geziert hat, waren die Leute
schließlich doch kooperativ.« Große Jäger nahm einen weiteren Schluck Kaffee
aus seinem Becher. »Reiche war pleite.«
Christoph und Mommsen sahen den Oberkommissar an.
»Dem Mann waren die Konten gesperrt worden, die
Kreditkarte ist eingezogen. Das geht aber schon länger so. Die Geschäfte, von
denen er in bescheidenem Rahmen leben konnte, sind in den letzten Monaten
schlecht gelaufen. Er hat wenig bis gar keinen Umsatz mehr erzielt, obwohl man
ihm seitens der Bank das Bemühen nicht absprechen wollte. Daraufhin hat ihm
auch der dänische Hersteller von Haushaltstextilien, für den er hauptsächlich
tätig war, die Vertretung entzogen. Überdies lief gegen ihn eine Räumungsklage,
weil er erhebliche Mietrückstände aufzuweisen hatte.«
»Das deckt sich mit der Schufa-Auskunft, die uns vorliegt«,
mischte sich Mommsen ein. »Es liegen gegen ihn Mahnbescheide wegen nicht
getilgter Kredite vor. Dem Mann stand finanziell das Wasser bis zum Hals. Und
das nicht etwa, weil er einen unsoliden Lebenswandel geführt hat. Er ist
anscheinend in einen Strudel hineingeraten, der durch die
Weitere Kostenlose Bücher