Mordlicht
sich
Christoph wieder über das Zahlenrätsel, wie er den handgeschriebenen Zettel
nannte, den die Spurensicherung am Tatort in Leck gefunden hatte. Erneut
stellte er alle möglichen Kombinationen auf, konnte sich aber keinen Reim
darauf machen. Aber er kannte jemanden, der ihm eventuell weiterhelfen konnte.
Professor Michaelis war nicht nur Hochschulpräsident in Hamburg, sondern auch
ein begnadeter Wissenschaftler, zudem Mathematiker. Christoph hatte den
Professor und dessen Frau im Urlaub beim Golfspielen kennen gelernt. Man war
ins Gespräch gekommen und hatte sich gelegentlich an Alster oder Förde zu einem
zwanglosen Abend zusammengefunden, meistens um ein neu entdecktes Restaurant
auszuprobieren, da das Ehepaar Michaelis begeisterte Feinschmecker waren.
Christoph suchte in
seinem Organizer die Telefonnummer. Er wurde vom Vorzimmer zum
Hochschulpräsidenten durchgestellt.
»Michaelis«, meldete
sich die sonore Stimme.
»Hallo, Gerhard,
hier ist Christoph Johannes.«
»Mensch, das ist
aber eine Überraschung. Wie geht’s? Was macht Dagmar?«
Christoph verspürte
keine große Lust, mit Michaelis über die aktuellen Probleme seiner Ehe zu
sprechen. »Danke, gut. Und euch?«, wich er deshalb aus.
»Viel zu tun.
Dazwischen findet sich aber immer eine Gelegenheit, den Gaumen zu kitzeln. Wir
waren vor kurzem in der Bretagne. Herrlich, kann ich dir sagen. Fisch und
Meeresfrüchte. Was verschafft mir die Ehre deines Anrufs?«
Christoph berichtete
von seinem Problem mit dem Zahlenrätsel.
»Schreib mir am
besten eine E-Mail. Ich sehe es mir einmal an.«
Mommsen saß am
Computer. Christoph war immer wieder erstaunt, mit welcher Fingerfertigkeit der
junge Kommissar die Tastatur bearbeitete. Christoph selbst schrieb mit vier
Fingern, die allenfalls »halbblind« über das Buchstabenfeld huschten. Große
Jäger hätte alle Geschwindigkeitswettbewerbe in dieser Disziplin verloren. Für
den Oberkommissar schien jeder Anschlag ein Erfolgserlebnis zu sein, verbunden
mit der großen Freude darüber, nach mühsamem Suchen des Buchstabens und
kraftvollem Abtauchen des einzelnen Fingers das Zeichen tatsächlich auf dem
Display erscheinen zu sehen.
Auf Mommsens
Bildschirm erschien die Meldung, dass eine neue Mail eingetroffen war. Mommsens
Finger verharrten einen Moment über dem Tastenfeld. Er beugte seinen Oberkörper
ein wenig vor und las die Nachricht. Dann nahm er Blickkontakt zu Christoph
auf.
»Die Antwort aus
Kiel zu unserer Interpolanfrage.«
Große Jäger schien
über die willkommene Unterbrechung froh, die ihm als Vorwand diente, die
ungeliebte Papierarbeit an die Seite zu legen.
»Welche Anfrage?«
»Wir wollten wissen,
ob die Fingerabdrücke des Toten aus Reiches Wohnung sowie die von der Glastür
am Palmengarten in Brüssel bekannt sind.«
»Und?«
Mommsen bildete mit
dem linken Zeigefinger und dem Daumen ein Kreis. »Sie sind Interpol bekannt.«
»Bingo. Dann haben
wir die Identität des Mordopfers sowie des mutmaßlichen Mörders.«
Jetzt fuhr sich
Mommsen mit der Hand über den Mund. »Leider nicht. Beide Fingerabdrücke tauchen
jeweils einmal auf. Reiches Opfer hat seine Abdrücke bei einem Banküberfall in
Hjørring hinterlassen.«
»Wo ist das?«,
fragte Große Jäger.
»Das ist im Norden
Dänemarks«, mischte sich Christoph ein. »Eine Kleinstadt unweit vom Fährhafen
Hanstholm, nördlich Ålborgs.«
»Kenn ich. Kommt
leckerer Aquavit her«, sagte Große Jäger und winkte nur ab, als Christoph ihm
entgegnete:
»Deine
geographischen Kenntnisse orientieren sich auch nur an alkoholischen
Spezialitäten.«
»Der Bankraub in
Dänemark war 1999 und wurde nie aufgeklärt. Interpol konnte die Fingerabdrücke
niemandem zuordnen. Man vermutete damals, dass die Tat von Ausländern begangen
wurde.«
»Wie viele Leute
waren beteiligt?«
»Moment.« Mommsen
las weiter, bevor er antwortete: »Zwei. Ob noch ein weiterer vor der Tür
Schmiere stand oder in einem Fluchtauto saß, wird nicht erwähnt.«
»Bankraub scheint
ein Hobby unseres unbekannten Toten gewesen zu sein. Erst der Überfall in Bad
Vilbel, drei Jahre später bei den Nachbarn. Und was ist mit den anderen
Fingerabdrücken?«
Mommsen beugte sich
erneut über seinen Bildschirm, bevor er antwortete: »Die Fingerabdrücke
tauchten 2001 auf. In Lille. Das ist in Nordfrankreich«, erklärte er und
blickte dabei Große Jäger an.
»Natürlich weiß ich
das«, brummte der zurück.
»Da wurde 2001 ein
Kunsthändler erschossen. Ein Deutscher.
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