Mordlicht
Palaver über alle
unwichtigen Dinge dieser Welt endete die Polizeiarbeit an diesem Dienstag.
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Der Husumer Schachverein hat Tradition. Er besteht
seit 1898. Und seit langem ist es Tradition, dass die Mitglieder durch junge
Leute vom Theodor-Schäfer-Berufsbildungswerk verstärkt werden, die Freude am
königlichen Spiel haben. Einer von ihnen war Markus Studt. In frühester Kindheit
hatte eine Krankheit durch Lähmungen seine Beweglichkeit eingeschränkt und das
Sprachzentrum beeinträchtigt. Gute Freunde und seine Bekannten hatten keine
Probleme, den jungen Mann zu verstehen, während Fremde sich konzentrieren
mussten, um die Artikulationen zu deuten. Dass Markus zwei Krücken zum Gehen
nutzte, schränkte seinen Bewegungsdrang nur unerheblich ein. So war er auch
heute allein im Zentrum von Husum unterwegs gewesen, hatte Besorgungen gemacht
und still den Trubel der lebhaften Innenstadt genossen. Nach Geschäftsschluss
war er noch kurz in einem Fast-Food-Restaurant gewesen, bevor er zum
Übungsabend des Schachclubs fahren wollte. Sein Auto, das er auf dem Parkplatz
hinterm Binnenhafen abgestellt hatte, gab ihm zusätzlichen Bewegungsspielraum.
Er sah auf die Uhr. Es war an der Zeit, aufzubrechen.
Markus ging durch die Twiete, jene schmale Gasse, die von der
Haupteinkaufsstraße zum Hafen hinunterführte. Niemand begegnete ihm im schmalen
Durchlass. An der Schiffbrücke war es lebhafter. Hier, am zentralen Platz am
Binnenhafen, flanierten noch Paare und waren auf dem Weg zu einer der
zahlreichen Lokalitäten, die sich in Reichweite befanden.
Zurzeit herrschte Hochwasser, sodass im Licht der
Straßenbeleuchtung das dunkle Wasser gespenstisch schimmerte. Das
Restaurantschiff »Nordertor«, ein alter Dampfer, der einst im Personenverkehr
zu den Inseln im Einsatz war, lag hell erleuchtet am Kai. Dunkel zeichnete sich
gegenüber die Kulisse des neuen Rathauses ab, dessen Architektur nicht von
allen als optimal auf die Umgebung abgestimmt gesehen wurde. Vereinzelt
hasteten Menschen über die Hafenstraße, die einseitig bebaut war und deren
andere Straßenseite die Kaimauer bildete.
Markus bog über die Fußgängerklappbrücke ab, die den
Binnenhafen überquerte und zur anderen Seite mit den dahinter liegenden
Parkmöglichkeiten führte. Auf den Bohlen war trotz des Gummistopfens das
Tack-Tack seiner Krücken zu hören. Unter ihm gluckste das brackige Wasser, das
bei Flut und einem Stand über Normalnull fast bis an die Brücke heranreichte.
Die südliche Seite des Hafens war mit einem
Häuserblock bebaut, durch den ein Torweg zu den Parkplätzen führte. Der
Durchbruch war nur spärlich beleuchtet.
Markus hatte ihn fast durchquert, als er hinter sich
ein Geräusch hörte. Der junge Mann gehörte nicht zu den ängstlichen Naturen und
war daher nicht beunruhigt, auch nicht, als er Schritte näher kommen hörte.
Plötzlich wurde ihm die linke Krücke weggerissen, sodass er den Halt verlor und
seitlich nach vorn stürzte. Noch im Fallen streckte er seine Arme voraus und
versuchte sich abzurollen. So minderte er die Folgen des Sturzes. Noch ehe er
sich umdrehen konnte, spürte er, wie sich jemand auf ihn warf, seine Arme
festzuhalten suchte und sich eine Hand der Innentasche seiner Jacke näherte. Doch
Markus wollte sich nicht kampflos ergeben. Er drückte mit dem Arm gegen den
Angreifer und konnte den anderen zurückdrängen. Durch die langjährige Übung mit
den Krücken verfügte der junge Mann über muskulöse Arme. Jetzt erkannte er,
dass sein Widersacher ein Mann mit groben Gesichtszügen war, das Haar durch
eine dunkelblaue Strickmütze verdeckt. Markus wehrte sich. Der Angreifer holte
zu einem Schlag aus. Es sah aus, als wollte er Markus mit der Faust ins Gesicht
schlagen, doch Markus war schneller. Blitzschnell hob er schützend den Arm
hoch, sodass der Schlag ins Leere verpuffte. Jetzt ging der junge Mann in die
Offensive. Mit der rechten Hand krallte er sich im Kragen der Jacke fest und
zog daran. Dem anderen wurde die Luft eng. Nur durch eine gewaltige
Kraftanstrengung konnte sich der Angreifer frei machen, rückte etwas von Markus
ab und kam mühsam auf die Beine.
»Du verdammter Arsch«, rief der Angreifer, holte aus
und trat mehrfach auf den nun hilflos am Boden liegenden jungen Mann ein, bevor
er fluchend in Richtung des Hafenparkhauses verschwand.
Mühsam versuchte Markus, wieder auf die Beine zu
kommen. Er sah sich um und bemerkte, dass der Unbekannte in einem Kellerzugang
auf ihn gelauert haben musste,
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