Mordloch
man ihn mit solchen Vorwürfen konfrontiert, meist sogleich per anwaltlichem Schreiben. In allen Fällen hatte er zwar problemlos nachweisen können, dass derlei Anschuldigungen völlig haltlos waren und offensichtlich nur den einen Grund hatten, ihn anzuschwärzen und einzuschüchtern. Doch der bürokratische Aufwand und der damit verbundene Papierkrieg, den er hasste wie die Pest, war jedes Mal enorm.
»Ich habe noch Fragen«, entgegnete er deshalb dem Ex- und Importeur genau so forsch, wie dieser zu provozieren versuchte. »Zum Beispiel, ob Sie persönliche Beziehungen nach Waldhausen haben – über die Kontakte zu den Flemmings hinaus.«
Özgül spielte weiterhin mit seiner Gebetskette. »Nein, keine«, sagte er knapp, »wenn das aber jetzt ein Verhör ist, wünsche ich, meinen Anwalt hinzuziehen zu dürfen.«
Häberle lächelte. »Das steht Ihnen selbstverständlich jederzeit frei. Dann müssen wir aber einen offiziellen Termin vereinbaren und ich Sie mit Ihrem Herrn Rechtsanwalt vorladen.«
Özgül überlegte kurz. »Dann bringen Sie es bitte hier zu Ende.«
»Ich bin ohnehin fast fertig«, erklärte der Kriminalist, »nur noch eine Frage: Sagen Ihnen die Namen Westerhoff und Glockinger etwas?«
Die Augen des Türken blitzten. Er sah langsam nacheinander den beiden Kriminalisten in die Gesichter und legte seine Gebetskette beiseite. »Nein, meine Herren, tut mir Leid. Tut mir wirklich sehr Leid.«
Häberle bedankte sich. Sie standen auf und gingen zur Tür. Im Hinausgehen wandte sich der Chefermittler noch einmal an Özgül, der ihnen höflicherweise gefolgt war: »Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass wir noch einmal kommen.« Dann durchschritten sie die Verkaufsräume und sahen noch einmal das helle und begrünte Teppichlager. Plötzlich hielt Häberle inne, was seinen jungen Kollegen irritierte. Özgül, der bereits auf dem Weg zurück in sein Büro war, schien das Zögern der beiden Kriminalisten bemerkt zu haben. Er blieb ebenfalls stehen und drehte sich um: »Haben Sie noch ein Problem?« fragte er energisch.
»Noch eine allerletzte Frage«, sagte Häberle lächelnd, »Ihr Lagerraum hier ist ja das reinste Gewächshaus.«
»Ja, nicht wahr?« versuchte jetzt auch Özgül ein Lächeln, doch war ihm Skepsis und Misstrauen anzumerken. Er kam wieder ein paar Schritte auf die Kriminalisten zu.
»Diese Bäume da«, Häberle deutete auf die größten Gewächse, die zwischen den Teppichstapeln zu dem Dachglas aufragten, »sind das australische Eichen?«
Özgül heuchelte Erstaunen. »Australische Eichen? Was soll diese Frage?«
»Ach, nur so, interessiert mich persönlich«, lächelte Häberle, »sind es denn welche?«
»Keine Ahnung«, entgegnete der Geschäftsführer, »darum habe ich mich nie gekümmert. Wirklich nicht.« Sein Gesicht war ernst.
32
Der Mittwochmorgen war schwül. Es schien so, als sei ein Gewitter im Anzug. Linkohr tauchte später, als gewohnt in der Geislinger Kriminalaußenstelle auf. Das mit Juliane schien etwas Ernsteres zu werden, stellte Häberle insgeheim fest. Denn der junge Kollege begründete seine Verspätung damit, dass er seine Freundin, die Krankenschwester, noch zur Arbeit in die Helfenstein-Klinik gefahren habe.
Häberle blätterte die »Geislinger Zeitung« durch und war mit Sanders Artikel über den Fall Flemming zufrieden. Darin wurde zwar viel spekuliert und manches Gerücht andeutungsweise erwähnt, doch würde dies alles die Ermittlungen nicht gefährden. Grinsend nahm er den letzten Satz zur Kenntnis: »Kripochef Helmut Bruhn hüllt sich in Schweigen – und Pressesprecher Uli Stock lehnt jede Stellungnahme ab.« Typisch, dachte Häberle mit stiller Ironie, so gewinnt man die Sympathien der Öffentlichkeit und das Vertrauen der Bürger.
»Zwei Punkte gilt es jetzt abzuklären«, resümierte Häberle, der gestern Abend zur Freude seiner Frau auch einmal wieder früher heimgekommen war. »Wenn wir den Schreibkram hier erledigt haben«, er deutete mit dem Kopf auf die Computerbildschirme, »sollten wir auch einmal diese Eisenbahnfanatiker unter die Lupe nehmen. Und diesen ...«, Häberle überlegte, »... diesen seltsamen Tourismusmanager, dessen Namen ich vergessen hab’.«
»Freudenthaler«, kam es spontan von Linkohr.
»Wissen wir inzwischen, wo sich der Knabe aufhält?«
Linkohr hatte gestern Abend noch mit den übrigen Kollegen der Sonderkommission gesprochen. Diese hatten herausgefunden, dass Freudenthaler seit Sonntag im Gasthof
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