Mordloch
Mailbox, die sich meldete und sie aufforderte, eine Nachricht zu hinterlassen. Sarah unterbrach die Verbindung und suchte im Telefonbuch die Nummer der »Oberen Roggenmühle.« Dorthin hatte Markus gestern Abend gehen wollen, weil er ein Fan des schwäbischen ›Kaos-Duo‹ war.
»Eine Frage nur«, sagte sie, als sich der Wirt gemeldet hatte, »war Markus gestern bei euch?«
Martin Seitz antwortete ohne zu zögern: »Ja, natürlich. Wieso – ist denn irgendetwas?«
Sarah holte tief Luft und schaute zu den Rotoren hinüber.
»Er ist nicht nach Hause gekommen«, antwortete sie schließlich.
»Bis jetzt nicht?«
»Wann ist er denn gegangen?« sprach Sarah weiter, ohne auf das Gefragte einzugehen.
»Ziemlich bald, glaube ich«, antwortete der Wirt, »zumindest war er einer von den Ersten, die gegangen sind. Noch bevor das ›Kaos-Duo‹ fertig war. Ich hab’ mich noch gewundert.«
»Um wie viel Uhr ungefähr?«
»Ich denke, kurz nach elf.«
Sarah spielte mit ihren langen Haaren. »Hat er denn gesagt, wo er noch hin wollte?«
»Mir jedenfalls nicht, aber vielleicht solltest du mal die anderen fragen. Von euch da oben war eine ganze Clique hier«, erklärte Seitz und fügte eher beiläufig hinzu: »Die Üblichen halt.«
»Bei wem hat er denn gesessen?«
»Bei Mayer und bei Hellbeiners, soweit ich mich erinnere. Die waren übrigens alle mit ihren Frauen da. Schade, dass du nicht auch gekommen bist.«
»Mir war nicht danach«, entgegnete sie kurz und kühl, bedankte sich für die Auskunft und beendete das Gespräch. Für einen Augenblick blieb sie in Gedanken versunken sitzen.
6
Die weißen Dampfschwaden lösten sich nur mühsam auf. Inzwischen fauchte und stampfte die E 75 11 18 auf Schalkstetten zu, vorbei an Getreidefeldern und durch das frische Grün eines Waldstücks. Auch hier tauchten überall Fotografen und Amateurfilmer auf. Sie saßen am Bahndamm, auf Hochsitzen oder hatten Gartenstühle mitgebracht, um sich stundenlang, wann immer der Zug vorbeikommen würde, eine besonders romantische Perspektive zu sichern. Am Ortsrand überquerte die Museumsbahn die Landstraße, wo auf beiden Seiten Dutzende von Autos vor dem blinkenden Rotlicht warteten.
Noch immer lehnte Kruschke aus dem engen Fenster und blickte angestrengt nach vorne. Schon von weitem sah er die Menschenmenge, die im Bahnhofsbereich das Gelände bevölkerte. Er bändigte sein Ungetüm und nutzte den verbliebenen Schwung, um den Zug langsam ausrollen zu lassen. Der Haltepunkt wurde von dem turmartigen Getreide-silo überragt.
Kaum standen die Räder still, öffneten sich Türen, strömten Passagiere ins Freie, stiegen andere ein. Die beiden Lokführer kletterten aus ihrem Führerstand und machten sich an ihrer Maschine zu schaffen.
Schaffner Florian Metzger schritt auf dem Bahnsteig die Waggons ab, um routinemäßig einen flüchtigen Blick auf den technischen Zustand zu werfen. Keine Besonderheiten. Am Ende des Zuges überquerte er das Gleis und ging auf der anderen Seite zur Lok zurück. Dort interessierte sich inzwischen ein Mann mit einer Kamera für die technischen Daten, vor allem für die Wassermenge, die verbraucht wurde. Kruschke und sein Kollege gaben bereitwillig Auskunft. Der Fragesteller, so erfuhr der junge Eisenbahner, hieß Ernst Häge. Er machte sich eifrig Notizen und war der örtliche Berichterstatter der »Geislinger Zeitung«. Um die Männer gruppierten sich immer mehr Eisenbahnfans. Auch der Fremde mit den vielen Falten im Gesicht, den Metzger gleich hinter Amstetten getroffen hatte, war ausgestiegen. Der Mann, so stellte der Schaffner fest, wollte mit seiner überaus vornehmen Kleidung, seiner schwarzen Hose und dem dunklen Jackett nicht so recht zu dieser Umgebung und schon gar nicht zu dem sommerlichen Wetter passen. Kruschke erzählte, was die Eisenbahnfans regelmäßig wissen wollten – wie viel Wasser die Maschine verbrauchte und welche Mengen Kohle notwendig waren, um das Dampfross zum Leben zu erwecken. Der Fremde nickte eifrig und ließ ein kurzes Lächeln erkennen, als sich sein Blick mit jenem Kruschkes traf.
Ernst Häge kratzte sich am Schnurrbart, und stellte eine weitere Frage: »Ist eigentlich daran gedacht, die Dampfzugfahrten auf alle Sommerwochenenden auszudehnen?«
Der Lokführer räusperte sich und deutete auf die Menschenmenge, die mittlerweile den Zug in Beschlag genommen hatte. »Wahrscheinlich würd’ sich’s lohnen.« Florian Metzger wollte gerade seine Zustimmung zum Ausdruck
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