Mordloch
dem benachbarten Eybach spielte, es gab den traditionellen Hammelbraten und jede Menge Kuchen, den die örtlichen Landfrauen gebacken hatten. Der Reinerlös kam den Vereinen zugute, die gerade in den ländlichen Gemeinden das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bevölkerung stärkten.
Heute saß Wühler allerdings nicht, wie dies ansonsten üblich war, bei seinen Ortschaftsräten, sondern abseits im Kreise seiner Familie. Nur Oberbürgermeister Hartmut Schönmann, Oberhaupt der Stadt Geislingen, hatte noch zusammen mit seiner Frau bei ihm Platz genommen. Die Schweinestallaffäre, wie das umstrittene Bauvorhaben inzwischen genannt wurde, hatte einen tiefen Graben zwischen Wühler und dem Rest des Ortes aufgerissen. Der Ortsvorsteher sorgte sich nicht nur um sein persönliches Image als Kommunalpolitiker und angesehener Landwirt. Er befürchtete mittlerweile auch, dass seine »Besenwirtschaft«, die er erst vor kurzem in seiner großen Hofstelle eingerichtet hatte, darunter leiden würde.
Wühler stand auf und schaute in ein faltenreiches Gesicht. »Grüß Gott«, sagte er und reichte dem älteren Herrn, den er um einen Kopf überragte, die Hand. »Ja, ich bin Karl Wühler.«
Der Fremde lächelte. »Freudenthaler, Hans Freudenthaler. Entschuldigen Sie die Störung und dass ich so unangemeldet in Ihr Fest platze.« Seine Augen wurden in der blendenden Sonne zu kleinen Schlitzen. »Ich bin Tourismusmanager und wollte mir mal von dem Spektakel mit dem Dampfzug ein eigenes Bild verschaffen. Ein idealer Tag heute.« Er musste lauter sprechen, weil an dem Tisch gerade schallend über einen Witz gelacht wurde.
Wühler befreite sich von dem festen Händedruck Freudenthalers und schaute skeptisch. Noch bevor er etwas erwidern konnte, meinte der Gast: »Ich bin davon überzeugt, dass man die ganze Region hier oben aufwerten könnte – privatwirtschaftlich mein’ ich, nicht mit einem Beamtenapparat.«
Wühler war verunsichert. Im Hintergrund begann die Blaskapelle zu spielen.
»Haben Sie einen Moment Zeit?« fragte Freudenthaler, was der Ortsvorsteher zum Anlass nahm, auch Oberbürgermeister Schönmann einzuschalten. Das Stadtoberhaupt hatte gerade einen Schluck aus dem Bierkrug genommen, erhob sich dann und stieg über die hölzerne Bierbank. Wühler erklärte, worum es ging und dass der Herr Freudenthaler gekommen sei, touristische Attraktionen aufzuspüren. Der Hinweis, es könne vielleicht auf privatwirtschaftlicher Basis der Fremdenverkehr in dieser strukturschwachen Region angekurbelt werden, ließ den Oberbürgermeister sofort aufhorchen. Solches Ansinnen lag genau auf seiner Wellenlänge. Seit die Kommunen finanziell ausbluteten, war man auf derlei Engagement angewiesen. Dies hatte Schönmann in den vergangenen Jahren bei jeder Gelegenheit propagiert. Sein Lächeln wurde jetzt noch strahlender, als es ohnehin bereits war. Er schlug vor, sich zu einem kurzen Gespräch in das frisch sanierte Bahnhofsgebäude zurückzuziehen.
Schönmann und Wühler entschuldigten sich bei ihren Frauen und den anderen Gästen am Tisch und führten den Fremden in das nahe Gebäude. Dieses war längst liebevoll restauriert und in ein schmuckes Vereinsheim umgewandelt worden. Heute hatten dort die Landfrauen ihre Kuchen und Torten aufgereiht. Schönmann lächelte den Damen zu und ließ sich von Wühler in ein Besprechungszimmer führen, in dem einige schlichte Stühle um einen rechteckigen Tisch gruppiert waren.
Der Ortsvorsteher nahm an einer Oberkante Platz, links von ihm Schönmann, rechts der Tourismusmanager.
»Ich will Sie nicht lange aufhalten«, begann Freudenthaler sichtlich erleichtert über das Interesse, auf das er gestoßen war. Er hatte nach allem, was ihm über Geislingen und seine Stadtbezirke zugetragen worden war, auch gar nichts anderes erwartet. Er griff in die Innentasche seines Jacketts und reichte den beiden Männern eine Visitenkarte. »Damit Sie wissen, mit wem Sie’s zu tun haben«, sagte er dabei, »Ich bin Inhaber eines privaten Tourismus-Management-Unternehmens in Frankfurt. Dass ich heute zu Ihnen komme, ist reiner Zufall. Ich hatte gestern im Allgäu zu tun und dort beiläufig von Ihren Dampfzügen hier erfahren. Da dachte ich mir, ich schau mir das mal selbst an. Schließlich darf sich Tourismus-Management nicht nur auf einen kleinen Raum beschränken, sondern soll großflächig ein vernetztes System bilden.« Freudenthaler begann noch stärker zu schwitzen. Dass er nicht mit der ganzen Wahrheit
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