Mordloch
steckte das Handy wieder ein. Dicke Rußschwaden zogen an den Waggons vorbei, während der Zug Gussenstadt erreichte. Als der Kommissar seinen Kollegen vom Inhalt des Gesprächs informierte, zeigte dieser sich wieder mal erstaunt: »Da haut’s dir’s Blech weg.«
Nach dem kurzen Halt in Gussenstadt schnaufte die Dampfbahn über die weite Hochfläche und näherte sich im weiten Linksbogen dem Bahnhof von Waldhausen. Dort deutete der junge Kriminalist plötzlich zu der Landstraße hinüber, die sich rechts drüben aus Richtung Geislingen heraufzog. Auch Häberle sah es: Mehrere Polizeifahrzeuge mit Blaulicht, voraus zwei Krankenwagen. Sie rasten auf Waldhausen zu. Die Martinshörner wurden vom Fauchen der Dampflok übertönt.
Für einen Moment verfolgten die Kriminalisten schweigend und nachdenklich die Fahrzeuge. Häberle drückte die Kurzwahltaste seines Handys, auf der er das Geislinger Polizeirevier gespeichert hatte. Der Kollege von der Wache meldete sich sofort und teilte kurz und knapp mit: »Angeblich ein Tötungsdelikt. In einer dieser Windkraftanlagen soll jemand erstochen worden sein.«
Dem Kommissar blieben die Worte im Hals stecken und steckte tief betroffen und blass geworden sein Handy ein. Er erklärte, was er erfahren hatte und entschied rasch: »Wir steigen jetzt aus.« Erneut griff er zum Handy und rief Schmidt an, der inzwischen ebenfalls informiert worden war und sich bereits auf den Weg gemacht hatte. »Nehmen Sie uns am Bahnhof Waldhausen mit«, bat Häberle.
Die Windkraftanlage, eine von mehreren, die außerhalb Waldhausens ihre Rotoren in den blauen Himmel reckten, war über einen unbefestigten Feldweg zu erreichen. Schmidt hatte keine Mühe, den Tatort zu finden, weil die zuckenden Blaulichter weithin sichtbar waren. Mittlerweile eilten bereits ganze Wandergruppen herbei, sodass damit begonnen wurde, rot-weiße Absperrbänder zu ziehen. Der Rotor drehte sich langsam, als sei nichts geschehen.
Die stählerne Tür der schneeweißen Anlage war geöffnet, davor parkten der BMW des Notarztes und der Rettungswagen. In einem Polizeikleinbus kümmerten sich zwei Beamte um eine schluchzende Frau. Als Häberle, Linkohr und Schmidt die uniformierten Kollegen des Streifendienstes freundschaftlich begrüßten, trat gerade der Arzt aus dem Turm heraus. Er kam auf die Kriminalisten zu und hatte ein ernstes Gesicht. »Tot, erstochen, verblutet.«
»Wer ist es denn?« fragte Häberle, während das Krächzen aus Funksprechgeräten die Umgebung erfüllte und das sanfte Schwirren des Rotors in der Luft lag.
Der Arzt zuckte mit den Schultern und deutete zu dem Kleinbus. »Ein Mann. Ihre Kollegen kümmern sich um seine Frau. Sie hat einen Schock. Wir werden sie mit in die Klinik nehmen.«
Linkohr war bereits zu dem Kleinbus hinüber geeilt und ließ sich von einem der Uniformierten berichten, um wen es sich bei dem Toten handelte.
»Chef«, kam er zu den anderen zurück, »es ist Westerhoff.«
Für einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen.
»Westerhoff? Den haben wir doch heut’ schon gesehen.«
Linkohr nickte. »Erst vor zwei, drei Stunden – der ist in Waldhausen ausgestiegen.«
»Genau«, erinnerte sich der Kommissar, »der Wühler hat noch gesagt, Westerhoff gehe wohl zu seiner Windkraftanlage, wie er das sonntags um diese Zeit immer tue.«
Der Kommissar betrat vorsichtig den stählernen Turm und sah auf dem Boden, dass Blut durch die Gitterrost-Konstruktion des Treppenaufgangs herabgetropft war.
»Die Kollegen der Spurensicherung aus Göppingen sind schon unterwegs«, erklärte Schmidt. Die Kriminalisten blieben am Eingang stehen. Häberle entdeckte im Bereich der ersten Treppenstufe einige schwarze Flecken.
Er trat wieder ins grelle Sonnenlicht und wandte sich an seine beiden Kollegen: »Wissen wir, wer ihn gefunden hat?«
»Offenbar seine Frau«, erwiderte Linkohr, »die Kollegen sagen, sie sei hierher gefahren, nachdem er nicht pünktlich zum Mittagessen gekommen ist. Sie hat gewusst, dass er immer sonntags um diese Zeit auf den Turm steigt.«
»Dann können wir die Tatzeit ziemlich genau einkreisen«, konstatierte Häberle und entschied, sofort per Lautsprecherdurchsage rund um Waldhausen nach Zeugen zu suchen. Möglicherweise hatten die vielen Wanderer, die an diesem Mittag in Wald und Flur unterwegs waren, etwas Verdächtiges gesehen. Schmidt versprach, dies zu veranlassen, als Häberles Handy ertönte. Es war Bruhn, der ohne Namensnennung und Begrüßung zu toben begann.
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