Mordloch
verlief.
Osotzky wusste, wie die Luke zu öffnen war, kletterte hinein und knipste ein Licht an. Der Aufleger war hier auf die ganze Breite unauffällig abgetrennt worden, sodass sich ein eineinhalb Meter breiter Raum ergab. Dieser Umbau fiel bei einer Gesamtlänge des Fahrzeugs von 18 Metern nicht auf, schon gar nicht, wenn es beladen war. In der Mitte des Raumes, in dem schallisolierende Materialen jeden Laut verschluckten, stand entgegen der Fahrtrichtung ein gepolsterter Stuhl mit Armlehne. Er war fest an Boden und Wand verschraubt. An den beiden vorderen Stuhlbeinen sowie auf den Armlehnen befanden sich Lederriemen mit Schnallen. Osotzky prüfte, ob sie fest genug angebracht waren und ob die Metallstifte in die vorgesehenen Löcher passten.
Dann zwängte er sich an dem Stuhl vorbei, um die kleine Camping-Chemietoilette zu inspizieren, die an der Wand angebracht war.
Osotzky war zufrieden, setzte sich testend auf den Stuhl und stellte sich mit gewissem Schaudern vor, hier einige Tage verharren zu müssen. Dann verdrängte er diesen Gedanken und kletterte hinaus, um mehrere Kartons voll Verpflegung zu holen. Ihm durfte kein logistischer Fehler unterlaufen. Gleich würden sie nämlich kommen.
Die beiden Kriminalisten hatten gerade noch einen Platz an einem der Biertische gefunden. Linkohr war es sogar gelungen, für sich und den Chef eine Bratwurst mit Senf zu ergattern. Unterdessen hatte sich der Bürgermeister ans Mikrofon gestellt und die Gäste begrüßt. Sein Dank galt wieder allen Organisatoren, die es ermöglicht hätten, solche Dampfzugfeste zu feiern.
»Meinen besonderen Dank möchte ich unserem Sponsor Anton Kruschke aussprechen«, erklärte der Bürgermeister unter dem sofort aufbrandenden Beifall der Zuhörer. »Ehrenamtliches Engagement braucht auch Geld«, stellte er fest, »nur dort, wo sich beides ergänzt, das Ehrenamt und das Sponsoring, ist es heutzutage noch möglich, gemeinsam Feste zu feiern.« Wieder zustimmender Beifall. Der Bürgermeister hatte während seiner Lobesrede Ausschau nach Kruschke gehalten, ihn aber offenbar nicht entdecken können.
Häberle nahm einen kräftigen Schluck Weizenbier und schlug eine Wespe in die Flucht.
»Dann ist Özgül unser Täter?« wandte sich Linkohr mit gedämpfter Stimme an den Chefermittler, während das ›Kaos-Duo‹ ein weiteres schwäbisches Lied zu spielen begann. »I sag’ ja nix, i moin ja bloß«, hieß es.
Häberle zuckte zweifelnd mit den breiten Schultern. »So richtigen Sinn macht das nicht«, dozierte er und biss in die Wurst. Senf tropfte auf sein Jackett. »Okay, er hat sich vielleicht mit seinen Geschäftspartnern, diesen Flemmings, in die Haare gekriegt, kann ja sein. Aber wieso bringt er ihn um, zerrt ihn ins Mordloch – und lässt die Frau nun auf andere Weise verschleppen?«
»Aber immerhin laufen die Fäden bei Özgül zusammen«, entgegnete Linkohr.
»Eine Schlüsselfigur dürfte er sein«, meinte Häberle, »aber da steckt noch mehr dahinter, glauben Sie mir.«
Linkohr stutzte und nahm auch einen Schluck Bier. »Sonst wären wir heute hier nicht Bahn gefahren, stimmt’s?«
Häberle grinste. »Es gibt noch viele Herrschaften, die uns eine Erklärung schuldig sind.«
Es war eine mächtige Schinderei – schon gar an so einem heißen Tag. Das Innere des stählernen Turmes konnte sich in der Sonne ganz schön aufheizen. Aber Heinrich Westerhoff hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, immer sonntags vor dem Mittagessen seine Windkraftanlage zu überprüfen. Das wäre natürlich nicht notwendig gewesen, doch weil sie praktisch vor der Haustür stand, am Rande eines Feldwegs, der abseits von Waldhausen über die Hochfläche führte, wollte er regelmäßig nach dem Rechten sehen. Immerhin hatte er viel Geld in den weißen Rotor gesteckt, der sich an diesem Tag nur langsam drehte. Manchmal wunderte sich Westerhoff, welch leichte Brise bereits ausreichte, die Anlage in Bewegung zu setzen. Aber da oben, rund 80 Meter überm Erdboden, herrschten häufig ganz andere Windverhältnisse als unten.
Westerhoff hatte die Metalltür nur einrasten lassen und die Innenbeleuchtung angeschaltet. Sofort wurde das Schneeweiß der runden Wände in ein grelles Licht gehüllt. Das sanfte Brummen des Generators hallte durch den Stahlmast, als der Mann auf den Gitterrost-Stufen nach oben stieg, von einer Zwischenplattform zur anderen. Die Investition hatte sich gelohnt, dachte er, denn die Überweisungen, die er vom örtlichen
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