Mordloch
außer sich vor Zorn. »Dann sag’ ich es Ihnen: Hier drin haben Sie die Frau Flemming festgehalten. Und hören Sie endlich auf, den Unschuldigen und Ahnungslosen zu spielen. Für unsere Spurensicherung ist es ein Einfaches, nachzuweisen, wer auf diesen Matratzen gepennt hat – und was darauf womöglich sonst noch geschehen ist.«
Der Jurist versuchte, die Lage zu entkrampfen. »Herr Özgül sagt, dass er mit dem, was hier unten geschehen ist, nichts zu tun hat.«
»Dann sagen Sie Ihrem Mandanten«, höhnte Bruhn zurück, »dass wir ihn nachher mitnehmen werden, dann kann er dies alles in Ruhe und ausführlich zu Protokoll geben.«
Der Anwalt zögerte einen Moment: »Sie wollen ihn festnehmen?« Zwei SEK-Beamte waren bereits dicht an Özgül herangetreten.
Bruhn zischte: »Und sagen Sie ihm auch, dass es mächtig Eindruck auf den Richter machen würde, wenn er uns sofort sagt, wohin sie Frau Flemming verschleppt haben.« Bruhn brüllte, dass die Wände zu wackeln drohten: »Wo ist die Frau?«
Schmidt hatte Sorge, dass sein Chef handgreiflich werden könnte.
42
Auf dem schmucken Bahnhofsgelände in Gerstetten herrschte Volksfeststimmung. Die Biertischgarnituren waren nahezu alle besetzt, vor den Imbissbuden gab’s Gedränge. Der Mittagszug war schnaubend eingetroffen und aus den Waggons quollen die Menschenmassen. Das ›Kaos-Duo‹, inmitten der fröhlichen Gesellschaft musizierend, hatte »Auf dr Schwäb’schen Eisenbahn« gespielt und sang jetzt so etwas wie eine Hymne an die Alb: »I bin a Älbler ond brauch’ mei Alb« – Ich bin ein Älbler und brauch’ meine Alb.
Häberle und Linkohr mischten sich unter die Menge. »Wir gönnen uns ein Weizen«, stellte der Chefermittler fest. Sein junger Kollege nickte eifrig. Sie stellten sich vor dem Stand der Geislinger Kaiserbrauerei an, deren Slogan »a g’scheit’s Bier« überall auf Transparenten prangte.
Das Gedränge, stellte Häberle fest, war nahezu unerträglich, weil die Bierkäufer von allen Seiten den Verkaufsstand umlagerten und möglichst jeder der Erste sein wollte. Einer, der sich mit vollem Krug einen Weg durch die ungeordnete Menge bahnte, schüttete Häberle einen Schwall Bier übers sommerliche Jackett. Unterdessen drang ein Lied an sein Ohr, dessen Text ihm irgendwie bekannt vorkam: »Die Wahrheit, die Wahrheit kommt immer auf den Tisch.« Es war Pohls Stimme. Dieser Kerl erdreistete sich, ausgerechnet jetzt ein Lied zu singen, das er in der U-Haft getextet hatte, dachte Häberle. Wenn diesem Musiker nur nicht noch das Lachen verging. Schließlich war er nur gegen eine Kaution freigelassen worden. Die nächsten Stunden, spätestens Tage, würde sich entscheiden, ob er ein Mörder war. Zumindest aber ein Mitwisser.
Häberle hatte sein Handy, das im Hemdentäschchen steckte, fast nicht gehört. Jetzt aber griff er danach und meldete sich. Weil um ihn herum laut gelacht und gesprochen wurde, musste er sich auf den Anrufer konzentrieren. »Ach ...«, entfuhr es ihm. Er wollte vor den fremden Ohren so wenig wie möglich sagen. »Festnehmen, klar«, erwiderte er eine Spur zu laut, denn sogleich wandten sich zwei Nebenstehende zu ihm um. Dann beendete er das Gespräch und informierte Linkohr: »Razzia erfolgreich. Özgül festgenommen. Er hat offenbar die Flemming gekidnappt – sagt aber nicht, wohin sie gebracht wurde.«
Der junge Kriminalist zeigte sich verblüfft: »Da haut’s dir’s Blech weg.« Noch immer sang Pohl, was er offenbar in die Welt hinaus schreien wollte: »Die Wahrheit, die Wahrheit kommt immer auf den Tisch.«
Osotzky hatte die Frachtpapiere durchgeblättert. Er war an diesem Mittag allein in der großen Lkw-Halle. Seine Kollegen würden, wie immer sonntags, erst am Abend kommen, um sich auf ihre Fahrten vorzubereiten. Den handlichen Koffer mit den nötigsten Utensilien für die nächsten Tage hatte Osotzky in die Schlafkoje gelegt.
Der Sattelzug war bereits beladen. Lauter schwere Maschinenteile, die man im Aufleger verzurrt und verankert hatte. Der Fernfahrer kletterte durch das geöffnete Heck ins Innere, in dem nur ein paar schwache Lampen brannten. Er musste sich mehrfach bücken, um zwischen den Teilen seiner Fracht den gesamten Laderaum zu durchschreiten – bis ganz nach vorne, wo sich links, dicht hinter einer hoch aufragenden grün gestrichenen Maschine bei genauem Hinsehen eine schmale Tür abzeichnete. Sie war jedoch kaum zu erkennen, weil die Faserung dieser Frontwand ziemlich unruhig
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