Mordloch
Stadtrat drunten in Geislingen hatte ihn enorm viel Zeit gekostet. Dass er kürzlich nun nicht mehr gewählt wurde, war zwar zunächst ein herber Schlag gewesen, den er sehr persönlich nahm. Doch inzwischen hatte er sich damit abgefunden. Inzwischen spürte er, wie ihm die verbliebene Tätigkeit als Ortsvorsteher zur Last wurde. Selbst in so einem kleinen Dorf hing damit ein ziemlicher bürokratischer Aufwand zusammen. Bisher hatte er diese Arbeit aber mit Freude gemacht. Doch seit ihm die Bürgerschaft sein geplantes Schweinstallprojekt verübelte, war diese Begeisterung verschwunden. Insgeheim ertappte er sich bereits bei dem Gedanken, dass er gar nicht mal trau rig wäre, würde er nach den Sommerferien den Vorsitz im Ortschaftsratsgremium verlieren.
Wühler hatte eine Stoßkarre aus dem Schuppen geholt, dessen Griffe sich zu lösen drohten. Er schob das einachsige Transportmittel unter dem schmalen Vordach zu einer anderen Tür hinüber, die in seine Werkstatt führte. Gerade, als er in der Tasche seines blauen Arbeitsanzugs nach dem Schlüsselbund fingerte, erregte etwas seine Aufmerksamkeit, das er nur mit dem linken Augenwinkel wahrnahm. An einen der Stützbalken, die das Vordach festhielten, war ein karierter Zettel angepinnt, vermutlich von einem Notizblock heruntergerissen. Wühler stellte seine Karre ab und blickte sich um. Den Zettel hatte er von den Stallungen aus nicht sehen können, weil er an der vom Innenhof abgewandten Seite des Pfostens angebracht war. Der Mann blieb entsetzt stehen. Der Zettel war nicht einfach mit einem Nagel angepinnt worden, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Nein, das Papier wurde von einem kleinen, verrosteten Taschenmesser gehalten, dessen Klinge fest im groben Holz des Pfostens steckte.
Wühler spürte, wie sein Blutdruck stieg. Er näherte sich vorsichtig, als wittere er eine Gefahr. Trotz des schlechten Lichts, das unter dem Vordach herrschte, konnte er lesen, was handschriftlich auf dem Papier geschrieben stand. Es traf ihn wie ein elektrischer Schlag. Noch einmal überflog er die Worte, ohne in der Lage zu sein, sie aufzunehmen. Viel zu groß war der Schock, der von diesen Buchstaben ausging.
Martin Seitz hatte seine regenfeste Kleidung angezogen, als er an diesem Vormittag seine Forellenteiche hinter dem Mühlengebäude inspizierte. Vieltausenfach zeichneten die Regentropfen Kreise auf die Wasseroberflächen. Hier im engen Roggental war es an solchen Tagen, wenn sich die Wolken an den Berghängen stauten, besonders trüb. Das Wasser, das in einem komplizierten System von einem Teich in den anderen floss, plätscherte unruhig, ein Fischreiher kreiste im Tiefflug über dem Gelände. Selten nur fuhr drüben auf der schmalen Straße ein Auto durch das einsame Tal.
Seitz musste die Wasserzuflüsse kontrollieren und die Fische füttern, die in unterschiedlichen Größen in den naturbelassenen Teichen herangezüchtet wurden. Die heftigen Niederschläge, das stellte er zufrieden fest, hatten in der Anlage bisher keinen Schaden angerichtet. Unter seinen Schuhen jedoch bemerkte er, wie weich die schmalen grasbewachsenen Wege geworden waren, die zwischen den Teichen hindurchführten.
Seitz blickte kurz auf, als er zwei Autos in die Zufahrt zur Gaststätte einbiegen sah. Ein silberfarbener Golf und ein roter A-Klasse-Daimler.
Die beiden Autos fuhren direkt vor das Gaststättengebäude, sodass sie Seitz von der rückwärtigen Teichanlage aus nicht mehr sehen konnte. Er beschleunigte deshalb seine Schritte, doch da kamen ihm bereits zwei Männer entgegen, die eng aneinander gedrückt unter einem Regenschirm Schutz suchten.
Seitz lächelte, als er sie erkannte. »Bleibt zurück«, rief er ihnen entgegen, »wir geh’n rein.« Er schüttelte den beiden die Hände und führte sie in den ebenerdig gelegenen Mühlenraum, einen kleinen, sehr rustikal gehaltenen Veranstaltungsraum, der erst vor wenigen Jahren renoviert worden war. Die Männer schüttelten die Regentropfen ab und ließen sich am ersten Tisch nieder.
»Darf ich euch was anbieten?« fragte Seitz und zog seine nasse Nylonjacke aus.
Seine Gäste lehnten dankend ab. »Wir sind auf dem Weg in die Stadt und wollten nur mal wissen, wie sich die Sache mit Flemming entwickelt hat.«
Der Obere Roggenmüller verschränkte die Arme vor der Brust. »Nichts weiter. Die Kripo war heut’ Nacht noch da, aber seither hab’ ich nichts mehr gehört. Und Ihr?«
Sie schüttelten beide den Kopf. Der Ältere von
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