Mordloch
eine Vielzahl von Stauden und hoch aufragenden Bäumchen bot. In dieser Umgebung fühlte sich Kruschke wohl. Auf dem runden Tisch, der die Mitte des Raumes einnahm, standen noch eine leere Flasche Wein und ein Glas. Beides hatte er gestern Abend nicht mehr weggeräumt. Seit ihn seine Frau verlassen hatte, was schon über ein Jahr her war, herrschte in dem großen Haus eine gewisse Unordnung, die stets übers Wochenende zunahm, weil die Putzfrau erst wieder am Dienstag kam.
Er hielt das winzige schnurlose Telefon ans linke Ohr gepresst und lauschte auf die Stimme des Anrufers. »Na ja, der Tod von Markus könnte das ganze Eisenbahnprojekt gefährden.«
Kruschke strich sich mit der rechten Hand über den Ansatz seines Bierbauches, über dem ein kariertes Hemd spannte. »Das seh’ ich nicht so«, antwortete er selbstbewusst, »natürlich ist das ein schwerer Schlag für uns. Aber ich glaub’ kaum, dass so etwas an einer einzelnen Person hängt.« Er schluckte. »Oder siehst du das anders?«
»So engagiert wie Markus hat kein anderer die Sache verfolgt.«
Kruschke stand auf und ging unruhig um den Tisch herum. »Ich glaube, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen«, meinte er, »Markus hat zwar für das Projekt gekämpft, aber so ein richtiges Aushängeschild, wenn ich das mal so sagen darf, wäre er nicht gerade gewesen ...«
»Dass er geschäftlich kein Engel war, mag sein«, entgegnete der Anrufer, »aber wer ist das schon?«
Kruschke fuhr dazwischen: »Und Feinde hat so einer weiß Gott wohl genug. Ich hab’ keinerlei Sorge, dass wir in irgendeiner Weise in den Schmutz gezogen werden. Markus hatte zwei Seiten. Die eine, das war seine heile Welt, seine bürgerliche Existenz bei euch da drüben. Die andere war sein Geschäft, von dem wir alle wahrscheinlich verdammt wenig wissen.«
»Daran besteht sicher nicht der geringste Zweifel«, räumte die Stimme am anderen Ende ein, »Geschäfte mit dem südosteuropäischen Ausland sind riskant, das wissen wir alle. Da gerät man schneller in eine zwielichtige Sache rein, als einem lieb ist. Nur ...«, der Mann überlegte kurz, »... deswegen gleich jemand umzubringen, das scheint mir dann doch ein eher gewagter Schachzug zu sein.«
Kruschke war vor der Glasfront stehen geblieben und beobachtete die abwärts rinnenden Wasserströme. »Ein Mord ist immer riskant«, stellte er sachlich fest. »Wenn nicht gerade eine verschmähte Liebesbeziehung dahinter steckt, wird der Täter – oder der Auftraggeber – vermutlich genau abgewogen haben, welches Risiko eingegangen werden kann. Im Übrigen kriegst du heutzutage aus der Ukraine oder sonst wo von da hinten schon einen Killer für ein paar hundert Euro.«
Aus dem Telefon war ein schwerer Atem zu hören. »Wahrscheinlich ist es so, ja. In manchen Kreisen ist ein Menschenleben überhaupt nichts mehr wert.«
Kruschke hatte keine Lust, über die heutige Gesellschaft zu philosophieren. »Du solltest dir wegen Markus wirklich keine grauen Haare wachsen lassen«, versuchte er, das Gespräch zu einem Ende zu bringen. Er hatte Wichtigeres zu tun, als sich dieses Gejammer anzuhören. Deshalb entschied er, endlich zu sagen, was ihm bereits die ganze Zeit über auf der Zunge gelegen war: »Ich versteh’ auch nicht, warum gerade du dich so sehr sorgst.« Er verzog das Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. »Bei allem, was man in letzter Zeit so munkelt, kann es dir doch gar nicht so unrecht sein, wenn Markus auf diese Art und Weise beseitigt wurde.«
Der Anrufer legte wortlos auf.
17
Ein Sauwetter ohne Ende, dachte Karl Wühler bei sich. Sein blauer Arbeitsanzug war durchnässt, im Hof des landwirtschaftlichen Anwesens waren die Pfützen noch größer geworden. Und aus der desolaten Dachrinne schossen seit gestern nahezu unablässig die Wassermassen im weiten Bogen auf die asphaltierte Fläche.
Wühler fühlte sich schlapp. Das Wochenende war wieder anstrengend gewesen, auch der gestrige Sonntag, denn die letzten Gäste in seiner »Besenwirtschaft« hatten erst um zwei Uhr früh das Lokal verlassen. Doch an ein Ausschlafen war nicht zu denken, denn drüben in den ausgedehnten Stallungen, die den anderen Teil des Hofes umgaben, mussten die Ferkel gefüttert werden. Diese Arbeit hatte er längst getan, doch wollte er den Regentag nun dazu nutzen, verschiedene Geräte und Apparate zu reparieren, die in dem Querbau nebenan lagerten. Zusehends spürte er, wie ihm alles über den Kopf zu wachsen drohte. Die Tätigkeit als
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