Mordloch
stets ein gesundes Misstrauen zu pflegen.
»Sie sind ein Mann der Tat, einer, der weiß, worauf’s ankommt«, lächelte der Tourismusmanager. »Vielleicht könnten wir ins Geschäft kommen ...«
Der Land- und Gastwirt dachte bei sich, dass er sich ja mal anhören konnte, was dem Fremden vorschwebte.
»Haben Sie zehn Minuten Zeit?« fragte der Besucher und brachte damit zum Ausdruck, dass er nicht gewillt war, das Gespräch im Hof zu führen. Wühler nahm ihn deshalb mit hinüber zu der »Besenwirtschaft«. Er schloss die Tür auf und bot seinem Besucher an einem der ersten Tische einen Platz an. Es roch nach kaltem Zigarettenrauch. Drüben auf der Theke standen ungespülte Gläser.
»Ich bin gespannt, schießen Sie los«, munterte Wühler den Besucher auf, dessen Namen ihm immer noch nicht eingefallen war.
»Ich hab’ gestern bereits angedeutet, dass sich mit privatem Engagement im Tourismus viel Geld verdienen lässt. Und dass Sie dabei auf finanzielle Unterstützung bauen können, haben Sie doch schon erlebt. Ich erinnere nur an das ›Leader-Programm‹ der EU.«
Der Mann wusste Bescheid, dachte Wühler. Als Ortsvorsteher hatte er in den vergangenen Wochen viel mit diesem Zuschussprogramm für den Fremdenverkehr zu tun gehabt. Sie durften einen Radweg ausweisen – und hatten alles aus einem Brüsseler Finanztopf bezahlt bekommen.
»Glauben Sie mir, Herr Wühler, in der EU stecken Gelder ohne Ende – man muss nur verstehen, an die Subventionsquellen zu gelangen. Und diese sprudeln üppig, wenn es um die Aufwertung strukturschwacher Räume geht – und wenn man eine Lobby hinter sich hat.« Der Fremde grinste. Wühler hatte sich gestern schon gefragt, ob er den Mann als »schmierigen und windigen Geschäftemacher« einstufen sollte oder ob er ein cleverer und mit allen Wassern gewaschener Manager war. Auch jetzt konnte sich der Landwirt zu keiner Charakterisierung durchringen. Jedenfalls war Vorsicht geboten, dachte er sich.
In einem Punkt aber hatte der Mann Recht: »Zweifellos«, meinte Wühler, »zweifellos sind viele unserer Bürgermeister überfordert, wenn sie sich um Zuschüsse bemühen müssen. Meist schaffen es nur die, die am lautesten schreien und die besten politischen Beziehungen haben.«
Richtig, jetzt fiel es Wühler ein. Freudenthaler hieß der Mann. Freudenthaler. Dieser nickte eifrig und bekräftigte Wühlers Bemerkung: »So ist es. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich mal im Süden umzuschauen. Spanien zum Beispiel. Die jammern, wie strukturschwach viele ihrer Landstriche seien – und schon fließen Gelder. Waren Sie schon mal auf Lanzarote?« Wühler schüttelte den Kopf. »Geh’n Sie mal hin«, fuhr er fort, »auf dieser Vulkaninsel wird Land erschlossen ohne Ende. Da werden vierspurige Straßen gebaut, auf denen keiner fährt. Da gibt es Kreisverkehre, als würden sich Hauptmagistralen kreuzen – doch keiner fährt. Da gibt es erschlossene Grundstücke mit Gehweg und Straßenlampen – aber keiner baut mehr.« Der Tourismusmanager redete sich förmlich in Ekstase. »Und erzähle mir bloß keiner, das bezahlten diese Kommunen dort alles aus der eigenen Tasche. Playa Blanca auf Lanzarote – ich sag’ Ihnen, Herr Wühler, die haben innerhalb von fünf Jahren aus dem beschaulichen Touristenörtchen eine Betten-Siedlung gemacht, obwohl diesen Gigantismus dort kein Mensch braucht. Vieles, was aus dem Boden gestampft wurde, steht leer. Vieles wird niemals bebaut. Dafür haben sie die Landschaft für immer versaut.«
Wühler nickte eifrig und hörte zu.
»Welche Schwachköpfe glauben denn, dass man den Tourismus auf Lanzarote derart puschen kann?« fragte Freudenthaler eher rhetorisch. »Das ist eine Insel für Individualisten. Es gibt so gut wie keinen Sandstrand, nur Vulkangestein, nichts weiter, als Steine. Das muss man lieben. Sonst geht man da nicht hin. Und wer das liebt, sucht diese eigenartige Stimmung, dieses fast Mystische, dieses Gefühl, auf dem Vulkan zu wandern. Das sind nicht die Leute, die den Massentourismus mögen. Wer das glaubt, setzt auf die falsche Karte und erreicht das Gegenteil: Die Leute bleiben weg.«
Wühler gefielen diese Worte. Als Mann der Scholle liebte er die Natur – auch wenn ihn die wirtschaftlichen Zwänge manchmal zu einer schmalen Gratwanderung zwischen betrieblichen Notwendigkeiten und dem Umweltschutz nötigten.
»Was ich damit sagen will«, fuhr Freudenthaler fort, »das ist der Versuch, Finanztöpfe in Brüssel anzuzapfen – und zwar auf
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