Mordloch
Sie sollten sich mit ihm mal in Verbindung setzen – trotz Ihres Problems mit Ihrem Schweinestall.« Freudenthaler lächelte wieder. »Lassen Sie sich nicht beirren, das geht wieder vorbei.« Dann kam er wieder aufs Thema zurück: »Reden Sie mit ihm. Es ist Westerhoff, Heinrich Westerhoff. Ist Ihnen doch bekannt, oder?«
Wühler war für einen Augenblick sprachlos. Er schluckte.
Freudenthaler stand auf. »Und noch etwas«, sagte er, »meine Beziehungen sind mannigfach. Ich kann Ihnen nicht nur beim Fremdenverkehr behilflich sein.« Der Landwirt stand zögernd auf und nahm die zum Abschied gereichte Hand seines Gastes. »Es gibt auch in anderen Bereichen viele Möglichkeiten, an Geld zu gelangen oder es zu sparen – wenn man sich auskennt«, erklärte Freudenthaler und drückte Wühlers kalte Hand fest. »Europa ist ein wunderbares Konstrukt, bei dem es sich herrlich tricksen lässt ...«
22
Sarah Flemming war nach den Ohrfeigen, die ihr Ismet verpasst hatte, in ihr Auto gestiegen und ziellos über die Alb gefahren. Einfach weg, fort. Im Innenspiegel hatte sie die roten Handabdrücke gesehen, die sich auf ihren Backen abzeichneten. So konnte sie sich nicht mehr sehen lassen. Sie fühlte sich erniedrigt und misshandelt.
Als sie ihren schwarzen Dreier-BMW vor dem Haus in Waldhausen abgestellt hatte, eilte sie so schnell sie konnte zur Tür, um von keinem Nachbarn gesehen zu werden. Ihr erster Weg galt dem großen Spiegel im Bad. Sie warf ihre langen Haare nach hinten und betrachtete die Schwellungen im Gesicht. Ismet hatte mit aller Wucht zugeschlagen. Mit ihm war nicht zu spaßen. Am tiefsten hatte sie aber die unterschwellige Drohung getroffen, sie als Nutte zu verkaufen. Dieses Schwein, dachte sie, dieses verdammte Schwein wusste, dass er sie in der Hand hatte. Wenn alles aufflog, was sie und ihr Mann in den vergangenen Jahren getan hatten, dann würde sie sofort in diesem »Gotteszell« landen, diesem Frauengefängnis in Schwäbisch Gmünd. Sie kannte es, seit eine Bekannte ihres Mannes dort zweieinhalb Jahre wegen irgendwelcher Rauschgiftgeschichten inhaftiert war. Damals hatten sie die Frau ein paar Mal besuchen können. Sarah konnte die vergitterten Fenster und Eisentüren, die langen Gänge und das Klappern von Schlüsseln nicht vergessen, auch nicht die uniformierten Beamtinnen und deren Befehlston. Die Bekannte hatte jedes Mal schluchzend von der kleinen Zelle berichtet, die sie mit einer Mörderin teilen musste.
Seither hatte Sarah panische Angst, jahrelang weggesperrt zu werden. Ihr kullerten Tränen über das Gesicht, als sie sich energielos aufs ungemachte Bett fallen ließ und die Augen schloss. Am liebsten wäre sie verschwunden, spurlos, für immer. Doch Ismet würde sie finden und in ein Bordell verschleppen, würde mit dem schmutzigen Geschäft, zu dem er sie zwingen konnte, auch noch Geld verdienen. Sie wusste, dass häufig schon türkischstämmige Frauen verschwunden waren – angeblich, um für immer in die Heimat der Eltern zurückzukehren. In Wirklichkeit hatte man sie zu Sexsklavinnen gemacht, in irgendwelchen Hinterhöfen von Istanbul oder Ankara. Oder in ganz anderen Ländern.
Sarah rappelte sich wieder auf, taumelte in ihr Büro zum Computer, dessen Bildschirm schwarz geworden war. Sie bewegte die Maus, um die Apparatur wieder zum Leben zu erwecken.
Eine neue E-Mail-Nachricht war da. Ihr Geliebter hatte geschrieben. Zwar waren sie gestern übereingekommen, die Kontakte vorsichtshalber etwas zu reduzieren. Doch noch in der Nacht hatte sie die Sehnsucht überkommen und die Abmachung gebrochen. Auch er schien darüber froh zu sein. Er bedankte sich in seinem Mail für ihren Guten-Morgen-Gruß und wünschte ihr Kraft, den Tag zu überstehen. Sie solle an ihn denken und wissen, dass er sie sehr lieb habe. Dann löschte sie die Mail. So hatten sie es vereinbart, denn sie mussten damit rechnen, dass die Polizei bei der Suche nach einem Motiv für den Mord auch die Computerdateien durchstöbern würde.
Sie sank auf den Bürosessel, schloss die Augen und spürte, wie die Schwellungen in ihrem Gesicht brannten. Sie wollte nie mehr wieder zu ihren Landsleuten zurück. Nie mehr. Darin war sie mit sich selbst einig. Ihr Geliebter gab ihr Kraft, aber sie musste mit ihm sprechen. Jetzt. Nie zuvor hatte sie seine Hilfe so dringend gebraucht. Nur er konnte ihr helfen. Sie griff zum Telefon und wählte seine Handynummer, denn er hatte ihr strikt untersagt, sie übers Festnetz anzurufen.
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