Mordloch
Schon gar nicht im Büro.
Der Ruf ging ab. Fünf-, sechsmal ertönte das Freizeichen. Dann hörte sie seine Stimme, fest und emotionslos. »Ja«, sagte er knapp, denn er hatte wohl auf dem Display ihre Nummer gesehen.
»Entschuldige«, hauchte sie atemlos, »kann ich mit dir reden?«
»Tut mir Leid«, sagte er, als wisse er gar nicht, wer angerufen hatte. »Ich bin gerade in einer wichtigen Besprechung.« Dann unterbrach er die Verbindung.
Sie hielt das kleine Telefon noch einige Sekunden am Ohr – nicht in der Lage zu begreifen, dass er jetzt keine Zeit für sie hatte. Zweifel kamen auf, diese schrecklichen Zweifel. Hatte er wirklich eine so wichtige Besprechung? Oder wollte er einfach jetzt nicht mit ihr sprechen? Jetzt, wo es so wichtig gewesen wäre.
Sie legte das Telefon weg und begann zu schluchzen. Hemmungslos.
Häberle hatte den Mercedes auf dem Besucherparkplatz vor dem WMF-Verwaltungsgebäude abgestellt, das den Baustil der 50er-Jahre repräsentierte. Zeitlos schön: Klare Fassade und ein gläsernes Treppenhaus mit Wendeltreppe, das für damalige Verhältnisse gewiss sehr extravagant erschienen sein musste. Dieses Gebäude war das Gesicht dieser Weltfirma, deren Bestecke und Kaffeemaschinen sich in jedem renommierten Hotel und auf allen großen Kreuzfahrtschiffen fanden. Wer was auf gepflegte Gastlichkeit und das passende Ambiente legte, stattete sich mit WMF-Produkten aus. Der Geschäftsleitung war viel daran gelegen, das gute Image schwäbischer Qualitätsarbeit zu bewahren, weshalb man die Menge des in China produzierten Bestecks wie ein Staatsgeheimnis hütete.
Die beiden Kriminalisten hatten bei den Pförtnern am Tor eins Besucherzettel ausfüllen müssen und waren dann von einer hoch gewachsenen Sekretärin abgeholt worden, die einen energischen Eindruck machte. Vermutlich war dies die Voraussetzung, um in der Chefetage tätig sein zu können.
Sie fuhren schweigend mit dem Aufzug ein paar Stockwerke nach oben. Als sie ausstiegen, standen sie auf einem langen Gang, der auf beiden Seiten unzählige Türen aufwies, neben denen Namensschildchen angebracht waren. Die Sekretärin stöckelte mit ihren hohen Absätzen und dem knapp knielangen Rock vor den Kriminalisten her und brachte sie in das Vorzimmer Westerhoffs, in dem sie residierte – mit Blick auf die große Parkplatzfläche und das angrenzende städtische Hallenbad hinüber.
Sie ging um ihren Schreibtisch herum, auf dem abseits eines Flachbildschirms mehrere aufgeschlagene Akten lagen. Dann drückte sie am Telefon vier Tasten und meldete die Besucher an.
»Herr Westerhoff lässt bitten«, sagte sie dann und wandte sich einer schallisolierten Tür zu, die sie öffnete. »Bitte sehr«, forderte sie die Kriminalisten auf. Häberle ging voraus, Link-ohr folgte und die Sekretärin ließ die Tür einrasten.
Westerhoffs Büro hatte die Größe eines Klassenzimmers und wurde von einer Fensterfront und vielen Grünpflanzen dominiert. Schräg vor eine innen liegende Raumecke gestellt, stand der wuchtige Schreibtisch aus hellem Holz. Westerhoff, ein korrekt gekleideter Mann um die vierzig, wirkte schmächtig, als er sich von dem gepolsterten Bürosessel erhob und auf die Besucher zukam. Seine dezent weinrote Krawatte saß fest, die schwarzen Haare ließen einen jüngst erfolgten Friseurbesuch vermuten.
Er begrüßte die Kriminalisten mit Handschlag und deutete ihnen an, auf der ledernen Sitzgarnitur Platz zu nehmen, die die andere Seite des Raumes ausfüllte, umgeben von einigen stattlichen Bäumchen aus klimabegünstigteren Gegenden. Eines davon war eine über zwei Meter hohe Birkenfeige, wie Häberle unschwer erkannte. Die anderen exotischen Gewächse, die diesen Teil des Raumes beherrschten, waren ihm fremd. Für einen kurzen Moment überlegte er, wer wohl für die Pflege dieser Pflanzen zuständig war. Die energische Sekretärin dürfte dies sicher mit Hinweis auf ihren Arbeitsvertrag abgelehnt haben, der solche Nebentätigkeiten gewiss nicht vorsah.
»Sie haben meinen Terminplan etwas durcheinander gebracht«, gab Westerhoff zu verstehen und schaute nervös auf seine silbern glitzernde Armbanduhr. »Aber Sie kommen wegen Flemming ...«, brachte er die Sache sogleich auf den Punkt.
Häberle nickte. »Ein paar wenige Fragen nur«, sagte Häberle, um sofort hinzuzufügen: »Reine Routine. Wir müssen sein persönliches Umfeld abklopfen, um uns ein Bild von ihm zu verschaffen. Wie gut haben Sie ihn gekannt?«
Westerhoff strich auf seinen
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