Mordloch
anschließend in den Computer eingeben, damit es allen Kollegen der Sonderkommission zur Verfügung stand.
»Auch kein Hinweis auf das Fahrzeug von Flemming?« hakte Häberle nach.
»Nichts, es ist wie vom Erdboden verschluckt«, meinte Schmidt. »Die Kollegen wollen heute Nachmittag seine Wohnung unter die Lupe nehmen. Vor allem seine geschäftlichen Unterlagen. Leider war seine Frau heute Vormittag telefonisch nicht erreichbar.«
»Habt ihr die Staatsanwaltschaft schon informiert?«
»Bruhn hat’s getan«, erwiderte Schmidt auf Häberles Frage süffisant, »auf seine diplomatische Art.«
»Kann ich mir vorstellen«, murmelte Häberle, »aber wir kriegen eine Durchsuchung genehmigt?«
»Schwenger hat’s auch schon abgesegnet.« Schmidt meinte den Geislinger Amtsrichter.
Als Linkohr gerade damit begann, seine Notizen am Tisch nebenan abzutippen, rief eine Männerstimme aus einer anderen Ecke: »Chef, ein Gespräch für Sie.«
Häberle stand auf und eilte zu einem der Kollegen, der ihm den Telefonhörer entgegen hielt. Er meldete sich und lauschte angestrengt auf das, was ihm die Stimme zu berichten hatte.
»Ach ...«, staunte der Kommissar, »Kollege, sagen Sie das noch mal.«
Es dauerte ein paar Sekunden, während denen sich Häberle auf die Tischplatte setzte. »Und es besteht kein Zweifel?« fragte er noch einmal ungläubig nach. Zwei junge Kriminalisten, die sich um ihn versammelt hatten, warteten gespannt auf eine weitere Reaktion ihres Chefs. Der sagte schließlich: »Danke, ich kümmere mich um den Haftbefehl.« Dann legte er auf – und schwieg für einen Moment. An eine so schnelle Lösung des Falles hatte er nicht gedacht.
Kruschke saß in seinem Büro, das nichts von der Würde einer Chefetage hatte. Sein schwerer Mahagoni-Schreibtisch war ein Erbstück gewesen. Auf ihm türmten sich ungeordnet Papiere, Schnellhefter und Broschüren, dazwischen ein Flachbildschirm, mehrere leere Mineralwasserflaschen und ein Telefon mit vielen Tasten. Das einzige Fenster war mit dünnmaschigen weißen Vorhängen zugezogen, sodass man die Umgebung kaum erkennen konnte. Kruschke fühlte sich oftmals von den hunderten Aktenordnern erschlagen, die mehrreihig alle Wände beherrschten. In einer Lücke dieser Regalkonstruktionen aus dunklem Holz hatte lediglich noch ein alter Fernseher Platz gefunden. Auch auf dem Boden hatte Kruschke Papiere und Ordner gestapelt, sodass er sich manchmal nur mühevoll einen Weg durch dieses Chaos bahnen konnte.
Wenn ihn seine Sekretärin, die zwei Räume weiter saß, dezent darauf hinzuweisen versuchte, all diese Papiere zu sortieren, was sie in letzter Zeit auffallend oft tat, reagierte er meist unwirsch. »Weggeworfen wird nichts«, pflegte er dann zu nörgeln. »Was ich heute wegwerf, brauch’ ich morgen.« Er achtete auch streng darauf, dass nur er selbst, dieses heillose Durcheinander anfasste. Er selbst wusste nämlich ganz genau, auf welchem Stapel oder in welcher Ecke sich das Gesuchte befand. Sein oft gebrauchter Spruch lautete deshalb: »Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen.«
Gäste und Geschäftsfreunde freilich durften nicht bis zu diesem ›Allerheiligsten‹ vordringen, auch sein Personal nicht. Für solche Fälle hatte er am anderen Ende des großen Gebäudes einen Konferenzraum eingerichtet, wie er ihn großspurig nannte. In Wirklichkeit war es ein Besprechungszimmer mit Billigmöbeln und ohne jeglichen Wandschmuck. Kru-schke legte in seinem Unternehmen wenig Wert auf Ambiente. Das Geschäft musste florieren – alles andere spielte hier keine Rolle. Seit er sich so sehr in sein Hobby kniete, diese Dampfzugfahrten, musste er sich aufs Wesentlichste konzentrieren. Für Nebensächlichkeiten blieb keine Zeit mehr – insbesondere, seit ihn seine Frau verlassen hatte.
Seit einigen Wochen allerdings raubte ihm noch etwas den Schlaf: Seine Sekretärin. Sie sorgte sich neuerdings nicht nur um das Chaos, sondern zeigte sich immer freizügiger. Die Röcke und Kleidchen, hatte Kruschke zur Kenntnis genommen, waren immer kürzer geworden, manchmal der Ausschnitt sogar ziemlich gewagt. Als sie jetzt an der Tür klopfte und auf sein »Ja« hin öffnete, verschlug es ihm beinahe wieder die Sprache. Die Frau, knapp 30, lächelte ihn strahlend an. Ihr sommerbuntes Kleidchen war auch heute überaus kurz. Sie schauten sich einen kurzen Moment an, als warte jeder auf die Reaktion des anderen. Kruschke verzog sein Gesicht zu einem Lächeln, was im Büro nicht oft
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