MORDMETHODEN
Befragung zufällig im Bus sitzt, zu Protokoll. Sie kann nicht nur das Aussehen von Manuela, sondern auch das der nicht auf den Fotos abgebildeten Schwester genau beschreiben und sagt, dass Manuela am Donnerstag allein in den Bus gestiegen sei, der sehr wohl angehalten hätte.
Die Ermittler sind ratlos und geben ein Gutachten in Auftrag, das klären soll, ob der Bus angehalten hat oder nicht. Das dabei angewandte Verfahren beruht auf der Tatsache, dass sich über die Geschwindigkeitshöchst- und -niedrigstwerte auf dem Fahrtenschreiber die Wegstrecken und -zeiten eines Fahrzeugs errechnen lassen. Die so gewonnenen Zeiten werden dann mit Zeugenaussagen abgeglichen. Da die Routen, die ein Linienbus abfährt, genau festgelegt sind, lässt sich bereitsaus wenigen zuverlässigen Zeitangaben von Fahrgästen an verschiedenen Haltestellen sowie den Daten des Fahrtenschreibers errechnen, wann ein Bus Zeit verloren oder gewonnen hat und wann oder wo er gehalten hat oder nicht.
Im Fall Manuela Schneider ergab das Fahrstreckengutachten, dass der Bus 13, 14, 16 und 19 Minuten nach sieben Uhr angehalten hatte. Auf den Haltestellenplan bezogen bedeutete dies, dass der Bus an Manuelas Haltestelle gestoppt haben musste. Manuela war also in den Bus gestiegen. Der Busfahrer hatte sich in seinem morgendlichen Trott geirrt, die alte Dame hatte nicht fantasiert.
Mittlerweile ist die Ermittlungsgruppe so groß geworden, dass Polizisten aus anderen Einheiten abgeordnet werden, um alle Unfälle, Krankenhausakten und Zeugenaussagen im fraglichen Gebiet zu bearbeiten. Eine Arbeitsschicht beträgt für die Ermittler ab sofort zwölf Stunden.
Trotzdem ergeben sich bis zur Nacht auf Samstag keine neuen Hinweise über den Verbleib des Mädchens. Als das Wochenmagazin Focus nachfragt, ob die Polizei »etwas von einer Entführung in Essen« wisse, beschließt man, ab Sonntagabend die Öffentlichkeit einzubeziehen. Zugleich sollen auch Manuelas Eltern noch einmal vernommen werden. Sie waren bislang verschont geblieben, unter anderem, damit der Vater daheim mögliche Erpresseranrufe entgegennehmen konnte. (Rufumleitungen und ISDN gab es 1994 fast noch nicht, und die Telekom brauchte mitunter lange, um im Ernstfall notwendige Umschaltungen einzurichten.) Die Vernehmung der Eltern zieht sich über den gesamten Samstag hin.
Von ganz anderer Seite kommt nun Bewegung in die Ermittlungen. Nachdem die Polizei Suchplakate und Handzettel verteilt hat und sogar mit Lautsprecherwagen durch die Straßen gefahren ist, gibt ein Nachbar zu Protokoll, er habe am fraglichen Donnerstagmorgen auf der Straße einen aufgespannten bunten Regenschirm gesehen. Tatsächlich hatte es an jenem Tag genieselt, und Manuelas Schwester meint, dieBeschreibung passe auf einen Schirm aus dem elterlichen Haushalt. Noch während sich zwei weitere Zeugen unabhängig voneinander mit derselben Information melden, beginnt die Suche nach dem verschollenen Gegenstand. Er taucht aber bis zuletzt nicht auf. Immerhin, drei Zeugen haben ihn gesehen. Aus Versehen verloren oder gar weggeworfen wird das scheue Kind den Schirm nicht haben, denken sich die Ermittler. Handelt es sich um einen Hinweis auf einen Kampf?
Zur Erleichterung aller haben wesentlich mehr Zeugen aber etwas ganz anderes zu berichten. Ab Sonntag, dem 8. Mai, klingelt im Schnitt alle zehn Minuten das Telefon in der Essener Leitstelle; die Anrufe kommen aus dem nur knapp 50 Kilometer entfernten Iserlohn. Alle Anrufer wollen Manuela gesehen und dann so schnell wie möglich zum Telefon gegriffen haben. Aus den Berichten der Iserlohner Augenzeugen lässt sich genau verfolgen, was Manuela treibt. Sie muss sich demnach irgendwie zu einem Ponyhof nahe Iserlohn durchgeschlagen haben. Das klingt überzeugend, denn wie viele Mädchen in ihrem Alter ist die Zwölfjährige von Herzen Pferdefan. Vom Ponyhof aus scheint sie einen befestigten Weg entlanggegangen zu sein.
Das Einzige, was der Polizei nicht gelingt, ist, Manuela aufzugreifen, obwohl zahlreiche Zivil- und Streifenwagen zu den beschriebenen Orten geschickt werden.
Am folgenden Montag meldet sich eine frühere Freundin von Manuela und klärt die Vorgeschichte ihres Verschwindens auf. Am Donnerstagabend gegen neun Uhr, also am Tag, an dem Manuela verschwunden ist, hatte die 13-jährige Zeugin eine Abkürzung durch eine Kleingartenanlage genommen. Da ihre Eltern ihr diesen Weg streng verboten hatten, erschrak das Kind sehr, als es mit einer anderen Person zusammenstieß. Doch der
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