MORDMETHODEN
von einer Telefonzelle im Großraum Essen angerufen hat.
Derweil sichten die Beamten noch offen gebliebene Berichte aus Iserlohn. Manuela und ein junger Mann waren, wie sich herausstellt, von mehreren Zeugen in den Einkaufsstraßen Iserlohns gesehen worden. Mit einem letzten Rest an Energie, nach acht Tagen in 12- bis 16-Stunden-Schichten, fahren einige Beamte noch einmal an die angegebenen Zielorte. Den müden und zusehends wütend werdenden Beamten ist die hin und her reisende Manuela – mit Alex im Schlepptau – aber immer um eine Nasenlänge voraus.
Auch dem geheimnisvollen Telefonanrufer soll eine Lehre erteilt werden. Am Freitag, dem 13. Mai, ruft er um Viertel vor zwei nachmittags erneut bei den Eltern an. Es ist dieselbe Stimme wie am Dienstag, die nun fragt, ob die geforderten zwei Millionen bereitlägen. Der Vater verhält sich polizeilichen Anweisungen gemäß und sagt, er könne die sehr hohe Geldsumme nicht auftreiben. Stattdessen fordert er ein Lebenszeichen seiner Tochter. Daraufhin zögert der Anrufer mehrere Sekunden. Ermittlern und Eltern stockt der Atem. Dann sagt die Stimme schnell »okay« und legt sofort auf.
Nun ist klar, dass hier ein Lausejunge sein böses Spiel treibt, der natürlich kein Lebenszeichen von Manuela erbringen kann. Der Anruf kam wieder aus einer Essener Telefonzelle. Aus Iserlohn treffen kaum noch Zeugenmeldungen ein. Offenbar ist Manuela abgetaucht und auf dem Weg zum Straßenkind. Die Bahnhofszene im dicht besiedelten Rhein-Ruhr-Gebiet bietet dafür genug Raum. Mit den ständig fahrendenNahverkehrszügen hat sich Manuela in dieser für Ausreißer wohl geeignetsten Gegend Zentraleuropas offenbar auf die Reise gemacht.
Der mysteriöse Anrufer hat aber auch etwas anzubieten. Schon am Tag nach seinem »Okay« löst er um kurz nach acht Uhr abends sein Versprechen ein und spielt kommentarlos ein verrauschtes Tonband ab, das er in einer Telefonzelle an die Sprechmuschel hält. »Hallo«, sagt unverkennbar das vermisste Mädchen, »hier ist Manuela. Ich habe keine große Angst mehr. Aber bitte tut das, was der Mann euch sagt, damit ich bald wieder bei euch bin.« Damit endet das einseitige Gespräch. Nun tut sich eine ganz andere Möglichkeit auf. Treiben Alex und Manuela ein gemeinsames grausames Spiel mit den Eltern? Wollen sie sich mit dem Geld absetzen? Und wenn ja, wohin? Zumindest bis zur Geldübergabe müssen sie noch in der Nähe bleiben.
Der Ermittlungsleiter glaubt entgegen der eindeutigen Anzeichen nicht an diese Möglichkeit. Er trommelt stattdessen seine komplette Mannschaft wieder zusammen und verkündet den Beamten, dass die Suche und die Nachtschichten ab sofort wieder aufgenommen würden. Am 15. Mai klingt es um halb zehn Uhr abends wieder durch das Telefon der Schneiders. »Hallo, hier ist Manuela. Ich habe euch alle sehr lieb! Bitte erledigt alles bis Mittwoch. Tschüss, eure Manu.« Und dann geschieht das, womit niemand gerechnet hat.
Am nächsten Tag geht im Essener Polizeipräsidium ein Anruf ein. Manuelas Vater behauptet, seine Tochter habe ihn, dieses Mal persönlich und nicht vom Band, angerufen. Tatsächlich steht wenig später das durchgefrorene, verstörte Kind in der Tür. Was war geschehen?
Bei einer technischen Begehung der Ruhrtalbrücke hatten Bauaufseher das Mädchen im zweiten von 18 Brückenpfeilern gefunden, die eine knapp zwei Kilometer lange Fahrbahn zwischen Düsseldorf und Essen stützen. Die Brücke hat einen hohlen Unterbau, und Inspekteure der Stadt Düsseldorf wollten zusammen mit einer Privatfirma in diesen Hohlräumennachforschen, ob Sanierungsarbeiten an der Brücke notwendig seien. Das Mädchen lag in einem Versteck auf Decken und einer Matratze, die quer auf fünf Metallträger des Brückeninnenraums gelegt war.
Manuela war also nicht von zu Hause fortgelaufen, sondern steckte seit dem ersten Donnerstag im Brückenpfeiler. Doch wo waren die Entführer?
Die Ermittler können sich bei ihrer Suche ab sofort auf wenige Orte konzentrieren und müssen nicht mehr das gesamte Gebiet zwischen Essen und Iserlohn überwachen. Dabei findet sich endlich der entscheidende Hinweis: Eine Zeugin berichtet, sie habe auf einem Parkplatz, der von homosexuellen Cruisern besucht wird, am fraglichen Donnerstag frühmorgens einen »verdächtigen PKW« gesehen. Sie kann nicht nur den Wagen beschreiben, sie hat auch das Kennzeichen notiert. Manuela bestätigt die Angaben der Zeugin zum Auto.
Die Polizisten verlieren keine Zeit und klingeln beim
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