MORDMETHODEN
über Unbekanntes wissentlich etwas Unwahres sagen.
Nun endlich gab Bismarck zähneknirschend auf und nahm die mehr als halbherzige Entschuldigung an. Sein Sprachrohr, der Kriegsminister, ließ Virchow wissen, dass »der Herr Ministerpräsident auf weitere Satisfaction« verzichte.
Das Duell der beiden Betonköpfe war am Ende also bloß ein Redegefecht. *
Eine Frage der Ehre
Besonders in Großstädten wie Köln und Berlin, aber auch im Ruhrgebiet wundern sich Zeitungsleser öfter über Meldungen wie die folgenden, die Haluk Kaya, Ausländerbeauftragter der Frankfurter Polizei, gesammelt hat: »Weil man ihn schwul nannte, rächte er sich mit 17 tödlichen Messerstichen. Er bereut nichts!« – »55-Jähriger küsst die Mordwaffe, mit der er seinen Nachbarn umbrachte, weil er diesen mit seiner Ehefrau im Bett erwischte« – »Aufgebrachter Vater bringt 16-Jährigen, der versucht hatte, seine Tochter zu vergewaltigen, und dessen 49-jährigen Vater um«.
Die Ehre und der Rotbart
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannten die Juristen, dass es keine objektiv definierbare, jenseits des Einzelfalls gesehene Ehre geben kann. Nicht einmal die Auflistung aller Verdienste einer Person ermöglicht es, deren Ehrwürdigkeit allgemein gültig festzustellen. Denn was einen Menschen ehrbar macht, ihn ehrt oder beleidigt, ist vom jeweiligen Umfeld abhängig. Das zeigt sich zum Beispiel an den Hierarchien im Kölner Karneval. Die Position des Prinzenführers oder des Leiters des Festkomitees, erst recht die Auswahl des Dreigestirns, ist dort eine äußerst ernsthafte Angelegenheit. Wer allerdings einen solchen in Köln aufrichtig ehrenhaften Karnevalstitel erhält, wird in Görlitz, Rügen oder Baden-Baden bestenfalls ein Schmunzeln, wenn nicht sogar völliges Unverständnis ernten. Doch wer beleidigt dabei wen?
Das Strafgesetzbuch unterscheidet deshalb jenseits aller Ehrentitel, Vereinspräsidentschaften und Orden vor allem, ob jemand Aussagen über einen anderen verbreitet, die diesen in seinem sozialen Umfeld oder Selbstwertgefühl stark herabsetzen. Deshalb kann man auch nur Personen beleidigen, nicht aber Firmen oder Behörden. »Die Telekom«, »der städtische Nahverkehr« oder »der Fiskus« können nicht beleidigt sein, sondern nur deren Mitarbeiter, wenn sie persönlich angegriffen werden. Der Kölner Karnevalsprinz kann hingegen von einem mürrischen Menschen in Friesland kaum beleidigt werden. Dort fehlen die Anhänger des Prinzen, die diesen genügend ehren bzw. schwer beleidigen könnten.
Allerdings kann bis heute eine gegen eine Einzelperson gerichtete Beleidigung eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren (bei Verleumdung sogar bis zu fünf Jahren)nach sich ziehen. 1983 wurden beispielsweise gerade einmal 8000 Verurteilungen wegen Beleidigung, etwa 200 wegen übler Nachrede und nur 98 wegen Verleumdung ausgesprochen. Die Ehre wird also nicht mehr so ernst genommen wie noch vor hundert Jahren.
Eine typisch deutsche Ausnahme bilden allerdings die als besonders schlimm empfundenen Handzeichen im Autoverkehr. So zahlte im Jahr 2000 ein Bayer 600 Euro dafür, dass er einer polizeilichen Videokamera seinen Mittelfinger (»Stinkefinger«) entgegengestreckt hatte. »Eine derartige Geste«, meinten die Richter des Münchner Oberlandesgerichts, »stellt eine vulgäre Kundgabe der Missachtung gegenüber den mit der Auswertung der Videoaufnahmen befassten Amtspersonen dar.«
Es kann noch besser kommen. Denn der Tatbestand der Beleidigung wird von Juristen manchmal auch dann erkannt, wenn für normale Menschen noch nicht einmal auf den zweiten Blick die Ehrverletzung erkennbar ist. So hatte das Oberlandesgericht Stuttgart 1961 zu entscheiden, wegen welchen Vergehens ein Mann verurteilt werden sollte, der eine merkwürdige sexuelle Beziehung zu einer Frau hatte. Der Mann, unter JuristInnen als »Rotbart« bekannt, hatte einer Frau erklärt, dass nur »erotische Impulse« – gemeint war Geschlechtsverkehr – ihn von einer Krankheit heilen könnten.
Der listige Mann hatte tatsächlich eine Krankheit: eine Aderhaut-Entzündung im Auge. Ursache seines Leidens, so seine Lüge, sei eine Verletzung aus dem Zweiten Weltkrieg. Nur die gewünschten »Impulse« könnten ihn vor der völligen Erblindung retten. Außerdem bestehe die Gefahr, dass er – Eigenzitat des Rotbarts – krankheitsbedingt »verblöde«. Auch dagegen hülfe besagte Therapie, am besten mittels Mundverkehr.
Als die Frau nach sieben Monaten bemerkte, dass der
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