Mordrausch
eine Leselampe heran und begann, den Fuß auszuwickeln. »Hast du das Oxycodone genommen?«
»Zwei Stück«, antwortete Cappy und erzählte Barakat, wie er die Treppe hinuntergerannt und getroffen worden war. »Die Kugel ist ganz knapp an meinem Kopf vorbeigezischt. Fünf Zentimeter näher, und ich wäre tot.«
»Hm.« Barakat begutachtete Cappys Fuß. »Sieht übel aus, ist aber, glaube ich, nicht so schlimm. Ich muss …«
»Was?«
»Ich muss dir eine Spritze geben, bevor ich mich um den Zeh kümmere. Sonst sind die Schmerzen zu groß.«
»Wie du meinst«, sagte Cappy.
»Zuerst brauch ich noch eine Linie«, erklärte Barakat und verschwand kurz im Schlafzimmer.
In Barakats Tasche befanden sich drei Einwegspritzen. Er nahm eine heraus und riss die Verpackung auf. »Es wird ein bisschen pieksen …« Er injizierte das Betäubungsmittel an drei Stellen, legte die leere Spritze auf das Beistelltischchen und stand auf. »Ich muss die Wunde mit Alkohol säubern.«
Er holte Alkohol und Papiertücher. »Tut das weh?«, erkundigte sich Barakat.
»Nicht sehr«, antwortete Cappy. »Fühlt sich viel besser an als vorher.«
»Später werden die Schmerzen schlimmer«, sagte Barakat, zückte eine Zange, die einer großen Pinzette ähnelte, und begann, die nässende Wunde zu untersuchen. »Du hast Glück gehabt.«
»Ja?«
»Der kleine Zeh ist nicht zu retten. Der vierte wurde zum Glück nur durch den Schuh verletzt. Knochen und Gelenke scheinen in Ordnung zu sein. Ich säubere und verbinde ihn. Beim kleinen Zeh muss ich mehr machen. Am Anfang wirst du Probleme mit dem Gleichgewicht haben, weil der kleine Zeh hilft, es zu halten; später wird er dir gar nicht mehr fehlen.«
»Er ist nicht zu retten, sagst du?« Cappy wollte sich aufrichten, um ihn sich anzusehen, doch Barakat hinderte ihn daran.
»Bleib liegen. Ich muss die Wunde säubern und verbinden. Wenn du dich an meine Anweisungen hältst, gibt es keine Komplikationen.«
Cappy hielt die Augen geschlossen, während Barakat zerfetzte Muskeln und Haut sowie Knochensplitter entfernte, so dass nur noch ein kleiner Stummel über der Zehenwurzel blieb. Den bandagierte er vorsichtig mit in antiseptisches Gel getauchter Gaze, verband den vierten Zeh separat und fixierte alles mit Klebeband.
»Das war’s. Bleib eine Weile ruhig liegen«, wies er Cappy an.
»Ich werde bald aufstehen müssen, weil sie mir früher oder später auf die Spur kommen werden. Ich verschwinde, wahrscheinlich nach Florida.«
»Warum nicht zurück nach Kalifornien?«
»Florida kenn ich noch nicht.«
»Wie du meinst, aber es schneit ziemlich heftig«, sagte Barakat, packte seine Sachen weg, holte eine Plastikabfalltüte unter der Spüle hervor und warf Verpackungen und Einwegspritze hinein. Später würde er alles irgendwo draußen in einer Abfalltonne entsorgen.
Barakat ging noch einmal ins Schlafzimmer, um eine Linie Koks zu schnupfen.
Er gab Cappy ein Fläschchen Penicillin-Tabletten und riet ihm, das restliche Oxycodone zu nehmen. »Wenn du bis nach Florida runterfährst, wird dir der Fuß die ganze Zeit wehtun. Du solltest irgendwo einen Zwischenstopp einlegen, vielleicht in Kentucky, wo die Bullen dich nicht vermuten, und dir für ein paar Tage ein Motel suchen. Da kannst du den Fuß hochlagern und fernsehen.«
Sie unterhielten sich weiter über Cappys Verletzung und über die Verfolgungsjagd im Krankenhaus.
»Ich weiß nicht, ob ich einen von ihnen erwischt habe. Ich glaube nicht. Aber am Ende hab ich sie ausgetrickst …«, erzählte Cappy.
»Meinst du, sie kennen deinen Namen?«, fragte Barakat.
»Keine Ahnung, was sie wissen.«
»Hmm. Wenn sie deinen Namen nicht kennen, wäre es das Vernünftigste, du würdest erst morgen aufbrechen, sobald es zu schneien aufgehört hat. Heute Nacht ist die Fahrt auf den Highways sicher kein Vergnügen. Ein Unfall wäre das Letzte, was du jetzt brauchst.«
»Ich muss zurück zu mir, meine Sachen packen und meine Maschine in den Van laden«, erklärte Cappy.
»Soll ich dir helfen?«
»Nein. Ich hab eine Rampe; die fahre ich einfach rauf. Sonst besitze ich keine schweren Sachen«, erwiderte Cappy. »Und was willst du machen?«
»Ich werde das Krankenhaus bitten, mir freizugeben, damit ich zu Shaheens Eltern in den Libanon fliegen und ihnen versichern kann, was für ein feiner Mensch er war. Das werden sie mir bestimmt nicht verwehren. Ich werde kurz dort bleiben, dann nach Paris weiterreisen und vielleicht einen Monat in der Stadt
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