Mordrausch
die, dachte Lucas, waren bei Ike gewesen.
Sie informierten den Sheriff von Washington County über das Lager, versiegelten es und wiesen den Verwalter an, nichts anzurühren.
»Nichts Interessantes«, stellte Lucas fest, als sie wieder im Wagen saßen. Und an Honey Bee gewandt: »Wir müssen mit Joe reden und den Doc finden. Wenn Sie uns nichts Brauchbares verraten, landen Sie im Gefängnis.«
»Ich habe nicht …«
»Überlegen Sie … der Doc: Ist er Franzose? Wissen Sie etwas darüber?«
Sie berührte ihre Lippen. »Oh.«
»Was oh?«
»Joe Mack hat mal Witze über einen Typen mit Turban gerissen. Ich glaube, er hat den Doc gemeint.«
»Ist der Doc Araber?«
»Oder jemand, der so ’ne Art Turban trägt. Sicher bin ich nicht. Sonst fällt mir zu dem Thema nichts ein.«
»Wie heißt er mit Nachnamen?«, fragte Lucas.
»Keine Ahnung, wirklich. Sie haben immer nur über den Doc geredet.«
»Viel ist das nicht gerade«, sagte Jenkins.
Virgil und Weather wurden an die Gehaltsabteilung verwiesen, die ihre Listen nach Beschäftigten mit französischem Hintergrund durchsah. Keiner von ihnen hatte sich krank gemeldet, zwei jedoch hatten den Tag frei.
»Ich bringe dich nach Hause«, sagte Virgil zu Weather. »Dann können die anderen ein Auge auf dich haben.«
»Du solltest sie nicht allein aufsuchen.«
»Ich nehme Jenkins oder Shrake mit«, erwiderte Virgil. »Ich muss der Spur nachgehen; vielleicht kommen wir so weiter.«
Sie waren gerade fertig, als Lucas Virgil anrief und ihm erzählte, was er von Honey Bee erfahren hatte.
»Wenn er wirklich Araber ist«, sagte Virgil, »wird die Sache schwieriger. Hier gibt’s deutlich mehr Araber als Franzosen.«
Jenkins und Lucas spielten eine Weile guter und böser Cop. Jenkins sagte immer wieder, Honey Bee habe ihnen ja irgendwie weitergeholfen und verdiene deshalb eine zweite Chance. Lucas hingegen wiederholte, dass er sie ins Gefängnis stecken wolle. Am Ende gab Lucas nach und erklärte sich bereit, sie in einem Holiday Inn in der Stadtmitte von St. Paul unterzubringen.
»Sie gehen nur zum Essen raus. Ansonsten bleiben Sie drin und schauen fern. Wenn ich Ihre Handynummer wähle, melden Sie sich sofort«, sagte Lucas.
»Okay.«
Honey Bee saß eine halbe Stunde in ihrem Zimmer und starrte ihren Koffer und den Fernseher an, ohne wirklich etwas zu sehen. Sie hatte schreckliche Angst vor dem Killer, vor Davenport, vor der Zukunft. Ob sie sie beobachteten? Sie wagte einen kurzen Blick auf den Flur, entdeckte niemanden, kehrte in den Raum zurück, legte sich in die Badewanne, fasste einen Entschluss.
Sie würde einen Probelauf versuchen. Honey Bee fuhr mit dem Aufzug drei Stockwerke hinunter und nahm für die restlichen die Treppe, die ganze Zeit auf Geräusche von Türen lauschend …
Draußen ging sie mit gesenktem Kopf zu einem Sandwichladen an der West Seventh, einen Häuserblock vom X Center entfernt, setzte sich in eine Nische im hinteren Teil und beobachtete die Tür. Viel war nicht los; ein paar Leute kamen herein, keinen davon hielt sie für einen Polizisten. Sie verließ den Laden durch den hinteren Ausgang, nahm allen Mut zusammen und huschte zum X Center hinüber, von wo aus sie, sich immer wieder umblickend, den Skyway betrat.
In der Bank ließ sie sich den Weg zu den Schließfächern erklären, fuhr mit dem Lift hinunter, zeigte ihre Schecks vor, um sich als Kundin zu legitimieren, mietete eines und legte siebzehntausend Dollar hinein. Tausend behielt sie für die laufenden Ausgaben.
Dann fuhr sie mit dem Aufzug wieder nach oben. Sie erwartete fast, an der Tür Davenport zu sehen, doch da war niemand.
Sie ging über den Skyway zurück, schaute sich nach einem öffentlichen Telefon um und entdeckte eines der letzten der Stadt. An einem Popcorn-Stand ließ sie sich Geld in Münzen wechseln und wählte eine Nummer.
Zweimal Klingeln, dreimal. »Hallo?«
»Eddie? Ich bin’s, Honey Bee.«
Schweigen. Dann: »Sind die Bullen bei dir?«
»Im Moment nicht. Sie haben mich den ganzen Tag festgehalten. Ich rufe von einem öffentlichen Telefon aus an. Ich muss mit Joe reden.«
»Sekunde.«
Joe meldete sich. »Honey Bee. Ich hatte Angst, dich anzurufen.«
»Ich bin an einem öffentlichen Telefon. Joe, alle sind tot. Ich habe Lyles Leiche gesehen. Er wurde gefoltert. Gefoltert. Sie sagen, dein Dad ist auch tot. Sie behaupten, dass Medikamente bei ihm deponiert waren und Lyle deswegen gefoltert wurde.« Sie sprach leise und behielt die Passanten im
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