Mords-Bescherung
hindern, hatte nicht zuletzt an Walburgs
Christengewissen erinnert, das ihr gebot, zumindest an Weihnachten Milde walten
zu lassen. Nichts aber hatte es genutzt. Walburg war hart geblieben.
Als fühlte sie den Schmerz von damals in diesem Augenblick erneut, schloss
sie die Augen, schluckte die aufsteigende Wut mühsam hinunter und ballte die
Fäuste. Mochten die Säckinger-Frauen auch klein und schmächtig sein und es
körperlich kaum mit einer Frau von Walburgs Statur aufnehmen können. Dennoch
gab es eine Möglichkeit für sie, sich für das Unglück jener unheiligen Nacht
vor zehn Jahren zu rächen. Tränen traten Katharina in die grünbraunen Augen,
Tränen des Schmerzes, aber auch der Erleichterung. Die Zeit war gekommen.
Verschämt wischte sie mit dem sommersprossenübersäten Handrücken die Wangen
trocken und reckte das spitze Kinn, suchte den Blick der Schwägerin.
»Das ist zu gütig von dir. Weiß Martin davon?«, fragte sie mit
heiserer Stimme.
»Gott bewahre! Hast du vergessen, wer dein Bruder ist? Schon deine
arme Mutter hat mir diesen Wunsch nur unter vier Augen anvertraut. Niemals
würde Martin es gestatten, dass ich dir das Amulett überreiche. Immerhin
besitzt es einen beträchtlichen Wert. Denk nur an den wertvollen Rubin, das
teure Gold und natürlich auch die Splitter vom heiligen Stall zu Bethlehem, die
darin aufbewahrt werden. Ganz zu schweigen von der wundersamen Kraft, die ihm
innewohnt. Als angesehener Ratsherr und Kaufmann erfährt er ohnehin besser nie,
dass du bei uns im Haus gewesen, ja dass du überhaupt in deine Heimatstadt
zurückgekehrt bist. Ebenso wenig darf ihm etwas von deiner Tochter Resi zu
Ohren kommen. Ein uneheliches Balg, von seiner Schwester mit einem Katholischen
gezeugt – das bringt ihn an den Rand des Grabs!«
»Dann bleibt es also dabei«, fuhr Katharina ihr über den Mund, »wir
treffen uns nachher im Stadel von Christoph Mäckl unweit des Kempter Tors. Noch
vor der heiligen Messe um Mitternacht bringst du mir das Amulett dorthin.«
»Und du bringst mir wie versprochen das Kästchen mit den Briefen
deines Vaters.«
»Wie könnte ich das je vergessen?« Katharina schmunzelte. In
Walburgs grauen Augen blitzte abermals die Gier auf. Nein, Katharina hatte sich
vorhin wirklich nicht getäuscht. Die Schwägerin war nach wie vor die Alte,
einzig auf ihren Vorteil bedacht. Nicht weil Katharina als Tochter einer
angesehenen Kaufmannsfamilie aus der ehedem freien protestantischen Reichsstadt
Memmingen durch die Liebschaft mit einem kaiserlichen katholischen Offizier
angeblich Schande über sie alle gebracht hatte, hatte Walburg sie damals
davongejagt. Allein die Aussicht auf das Erbe war es gewesen, die Walburg
damals angetrieben hatte. Nach Katharinas Verschwinden stand das Geld
schließlich Martin und ihr ganz allein zu. Auch nun streckte sie ihr nicht die
Hand entgegen, um uneigennützig ein Versprechen der verstorbenen Mechthild
gegenüber einzulösen. Ohne etwas zu bekommen, gab Walburg nach wie vor nichts
freiwillig aus der Hand, selbst dann nicht, wenn sie es der Schwägerin auf dem
Sterbebett zugesagt haben sollte. Allein um die Briefe des Vaters war es ihr zu
tun, ahnte sie doch, welchen Schaden Katharina ihr damit zufügen konnte. Wieder
musste Katharina schmunzeln, warf kühn das wallende hellbraune Haar nach
hinten. Das Missfallen, das sie damit bei Walburg erregte, gefiel ihr. Allein
deswegen schon lohnte es sich, auf eine Haube oder ein züchtiges Kopftuch zu
verzichten und das Haar offen wie eine Trosshure zu tragen. Aufreizend fuhr sie
mit den Fingern am Ausschnitt ihres Mieders entlang, schob die schmalen Hüften
ein wenig vor. Der rote Samtrock bauschte sich unter der Bewegung auf. Schon
lange war sie keine anständige Bürgerin mehr, und wenn sie Walburg betrachtete,
war sie heilfroh darüber, keine mehr zu sein.
»Natürlich bringe ich dir das Kästchen mit den Briefen meines
seligen Vaters mit«, beschwichtigte sie die Schwägerin. »Außer uns beiden soll
niemand je erfahren, was darin über dich und deine Geschäfte –«
»Hast du sie etwa –?«
»Morgen früh, liebe Walburg, bin ich schon wieder fort aus der
Stadt«, fiel sie Walburg ins Wort. »Gleich bei Anbruch der Dämmerung reite ich
mit meiner Tochter Resi los.«
»Ich dachte, du bist im Tross der Honoldsteinischen Truppen
unterwegs?«
»Ab jetzt reise ich allein mit Resi. Auf den Schutz der
Honoldsteinischen bin ich ebenso wenig angewiesen wie auf den der Truppen um
den Grafen von
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