Mords-Bescherung
Zeil. Die werden wohl alle erst an Dreikönig zum Aufbruch
blasen. Eine Kauffrau wie ich, die in den letzten zehn Jahren landauf, landab
umhergezogen ist und ihr Geld mit verschiedensten Geschäften am Rande der
Kriegsgefechte gemacht hat, reist am besten allein. Niemand wird es wagen, mir
etwas zuleide zu tun. Im Zweifelsfall kann ich mich besser wehren als so
manches Mannsbild.«
Sie schenkte Walburg einen zweideutigen Blick. Die Schwägerin wich
ihr aus.
»Bis nachher im Stadel. Du wirst sehen, alles wird gut.« Ehe Walburg
noch etwas sagen konnte, zog sie die Heuke über den Kopf, vergrub die Hände in
den tiefen Seitentaschen und eilte aus dem Haus.
Eisige Luft schlug ihr draußen entgegen, brannte beim Atemholen im
Hals. Des dichten Schneetreibens wegen hielt sie den Kopf gesenkt. Kaum nahm
sie wahr, wie sie durch die Kalcher Vorstadt an der Heilig-Kreuz-Kirche und
kurz darauf am lang gezogenen Salzstadel vorbeihastete. Erst als sie das Weber-
und Gerberviertel erreichte, hob sie wieder den Blick. Im letzten Tageslicht
ragte der schlichte viereckige Turm der Frauenkirche in den düsteren,
wolkenverhangenen Himmel. Dahinter meinte sie die Umrisse der Berge zu
erkennen. Das aber entsprach allein ihrem Wunsch, gleich bei Tagesanbruch durch
das Kempter Tor Richtung Süden davonreiten zu können, geradewegs auf die Alpen
zu, die sich weit hinter Immenstadt und Sonthofen wie ein Riegel in die ebene
Landschaft schoben. Noch vor Beginn des neuen Jahres würde sie am Fuß der Berge
bei einer Bäuerin Quartier nehmen und nach der Schneeschmelze mit Resi
endgültig nach Süden aufbrechen. Nachdem ihr Vorhaben in Memmingen erfüllt war,
hielt Katharina nichts mehr diesseits der Berge. Wenn Gott wollte, so würden
Resi und sie den nächsten Sommer schon in weitaus freundlicheren Gefilden,
weitab von Krieg und sinnlosem Gemetzel, erleben.
Bis zu ihrer Herberge war es nicht mehr weit. Nahe dem
Schrannenplatz hatte sie zusammen mit der neunjährigen Resi Unterschlupf bei
einer Witwe gefunden. Die Alte hatte sie nicht erkannt. Katharina war froh,
wollte sie doch jegliches Gerede über ihre Rückkehr in die Stadt vermeiden.
Niemand sollte behaupten, die einst unter größter Schmach davongejagte Tochter
des Salzhändlers Säckinger wäre als ehrlose Marketenderin mit einer unehelichen
Tochter zurückgekommen. Seit dem Tag, an dem ihr klar geworden war, den
geliebten Leutnant Falk von Weiterstein aus dem Lager der katholischen Liga nie
mehr in den Armen zu halten und lediglich in den tiefblauen Augen der kleinen
Resi eine schwache Erinnerung seiner berauschenden Liebe zu erahnen, lebte sie
für den Moment der Rache. Einmal nur wollte sie Walburg in tiefster Scham vor
allen anderen Memminger Bürgern zu Boden sinken sehen, einmal sie vor den Augen
all jener, deren Ansehen ihr so wichtig war, erniedrigt wissen. Die Aussicht,
diesen Moment in wenigen Stunden schon zu erleben, beflügelte sie.
Eine Schneeböe wehte ihr mitten ins Gesicht. Sie zog die Heuke enger
um die Schultern und stapfte weiter durch das knöchelhohe Weiß. Bei jedem
Schritt versuchte sie, das frostige Gefühl zu verdrängen, das durch die nassen
Schuhe die Waden heraufkletterte. Bald würde sie Resis goldblonde Locken
aufkämmen, ihr das weiße wadenlange Gewand überstreifen und sie in den Stadel
führen. Schon bei dem Gedanken stieg ihr der betörende Duft in die Nase, den
das Räucherzeug darin verströmen würde. Allzu schlimm hätte Walburg zwar nicht
zu leiden, die Schmach über das Getane aber würde nach dem Erwachen umso größer
für sie sein. Zufrieden lächelte Katharina in sich hinein.
Die Gassen der Stadt waren menschenleer. In den schwach erleuchteten
Stuben bereiteten sich die Menschen auf die Heilige Nacht vor. Andächtig
verspeisten sie ihre karge Vesper, sehnten den festlichen Gottesdienst um
Mitternacht herbei, der ihnen von der Ankunft Jesu Christi auf Erden und der
selbst im bald dreiundzwanzigsten Kriegsjahr nie versiegenden Hoffnung auf
Erlösung von den Sünden kündete. Auch für Katharina würde es eine Nacht der
Erlösung werden. Mit der Rache an Walburg war nicht nur ihre Sehnsucht nach
Vergeltung gestillt. Zudem erhielt sie jetzt noch das Amulett der Mutter, das
Resi und sie künftig vor jeglicher Unbill schützen würde. Damit hatte sie nicht
gerechnet.
Das schmale Abendbrot bei der Witwe war schnell verzehrt. Katharina
war froh, blieb ihr so ausreichend Zeit, Mäckls Stadel gründlich vorzubereiten.
Der neunjährigen Resi
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