Mords-Bescherung
selige …«
»Gnadenbringende Weihnachtsgans«, antwortet Jenny mit ihrem hellen
Sopran, dass die Bubenstimmen vor Neid erblassen würden. Dann fällt sie Magda
um den Hals und küsst sie leidenschaftlich.
Kaum verschmelzen ihre Zungen miteinander, werden Magdas Knie weich,
und die Körpersäfte beginnen zu steigen. Sie reißt sich los. »Später, Honey.
Lass es uns zuerst zu Ende bringen.«
Tonis Augen mit den unnatürlich vergrößerten Pupillen quellen
hervor, als wollten sie Derrick Konkurrenz machen. Überzeugender kann man nicht
fassungslos staunen. Magdas zukünftiger Exmann rutscht vom Sofa auf den
Perserteppich. Beide Frauen krempeln ihre Ärmel hoch. Damit sie ihn leichter
transportieren können, rollen sie Toni in den Teppich ein.
Magda zählt. Auf drei tragen sie ihn hinaus.
Von fern hört man die Bubenstimmen: »In dulci jubilohoho …«
»Nun mordet und seid frohohoh«, fällt Jenny ein und lacht
silberhell.
Magda aber denkt an die schönen Spiele, die sie nach dem
unangenehmen Teil des Abends miteinander spielen werden. Und wie Jenny ihr den
Stringtanga aus schwarzer Spitze (Weihnachten 2012, selbst gekauft) vom Leib
reißen wird.
Hans Eichhorn
17. April 2012
Zum wiederholten Male sieht er den Mann mit entschlossenem
Gesichtsausdruck die Stiege hinaufeilen. Am rechten unteren Bildrand ist das
Datum eingeblendet: 24. Dezember, 14 Uhr .
Nebel über dem See, raureifbewachsene Äste, und wieder eilt der Mann die Stiege
hinauf.
Obwohl das Bild nur für Sekundenbruchteile aufscheint, ist doch
anzunehmen, dass sich etwas Entscheidendes ereignen würde. Am Ufer des Sees
stehen die Großeltern und schlagen mit Holzscheiten auf blecherne Schaufeln, es
dröhnt weithin. Die Fischersleute müssten doch längst von ihrer Ausfahrt zurück
sein! Nebel über dem Wasser. Der Mann marschiert unverdrossen die Stiege
hinauf. Jetzt startet der Agent einen Motorroller und lenkt ihn von der
Hauszufahrt auf die Straße. Der Blick in die Umgebung zeigt südländisches
Flair. In Japan bevorzugen die Menschen Plastikchristbäume und sind stolz auf
diese. Yoko ist dieser Ansicht. Der Motorrollerfahrer hat eine schwarze Tasche
(?) umgehängt. Der andere Mann eilt die Treppe hoch. Die Zeiger der Bahnhofsuhr
rücken deutlich sichtbar weiter. Sie haben keinen Kompass mit und werden bei
diesem Nebel im Kreis fahren. Das Trommeln und Scheppern geht weiter, doch das
Vertrauen auf den Mann, der die Treppe hocheilt, ist zumindest erschüttert,
wenn nicht sogar restlos in Frage gestellt. Erklärung! Wird er nicht aus einem
drittklassigen Kinofilm requiriert? Und erst recht der Motorrollerfahrer mit
seiner Tasche, die ja auch noch schwarz ist und in der sich nur allzu deutlich
der teuflische Plan ankündigt. Und erst recht der vorrückende Zeiger der Uhr,
dieser blitzschnelle Wechsel zu den wartenden, schwitzenden Personen, das sind
doch ein unverschämtes Aufs-Tempo- und ein Auf-eine-Gangart-Drücken, die so plump
mit den Erwartungen spielen, dass sogar der Nebel über dem See, die
raureifbewachsenen Äste, die mit Holzscheiten auf Blech klopfenden Großeltern
und die Fischersleute selbst wie aufgeblasene Plastikrequisiten wirken, denen
langsam die Luft ausgeht. Den schnell wechselnden Bildern wird eine rasante
Musik unterlegt. Die Einblendung 24. Dezember, 14 Uhr wird gelöscht und durch die Einblendung 24. Dezember,
14 Uhr 30 ersetzt. Jetzt hat die junge Frau den Mann auf dem
Motorroller gesehen, sie duckt sich und geht eine Spur schneller. Dazu der
Bratwürstl- und Sauerkrautgeruch. Von den Fischersleuten ist noch nichts zu
sehen. Hauptsache, die Rasanz der Schritte entspricht dem Rhythmus, der hier
den Ton angibt. Rote und goldene Christbaumkugeln müssen es sein. Meinetwegen.
Die Frau sieht sich hastig um, sie weiß, der Mann hat den Auftrag, sie zu
eliminieren. Und der Mann, der die Treppe hinaufeilt, jetzt ist er auf dem
offenen Dachgeschoss gelandet, weiß, dass die Frau seinetwegen einer tödlichen
Bedrohung ausgesetzt ist. Ausgerechnet am Heiligen Abend lungern die
schwitzenden Westernhelden an der Bahnstation herum und starren auf die Zeiger
der großen Uhr. Es ist schon sehr spät. Sie müssen doch das Geklopfe und
Gescheppere am Seeufer hören! Der Mann springt von Dachterrasse zu Dachterrasse
und versucht, noch vor dem Motorrollerfahrer die Frau zu erreichen. Die
Großeltern sind sehr beunruhigt. Die Fischkundschaft muss unverrichteter Dinge
fortgeschickt werden. Das Klopfen und Scheppern ist weithin zu
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