Mords-Bescherung
der Runde vom zweiten Stock herunter,
»vierundzwanzig Stufen – vom Erdgeschoss gezählt, muss das die Kastenkrippe
sein.« Schon waren die Herren mit Schraubenzieher zur Stelle und schraubten den
Glasrahmen ab. Figuren ausgeräumt – »Die Hochzeit zu Kanaa« – und dann
vorsichtig das ganze Diorama herausgezogen.
Tatsächlich! Da lag ein großes Kuvert – Format fünfzig mal dreißig
Zentimeter. »Dem ehrlichen Finder«, stand in großen Lettern auf dem Kuvert. Und
weiter: »… gehört der Inhalt nicht! Als langjähriger Förderer und aktiver
Mitarbeiter verfüge ich, dass damit das Heimathaus endlich die notwendige
Attraktion bekommen soll – oder durch den Verkauf viel Geld!«
Vorsichtig zogen sie das Papier aus dem Kuvert. Es war eine
Bleistiftskizze, die tatsächlich Gustav Klimt angefertigt hatte und den Hinweis
trug: »… für den kleinen Toni, der mich so oft bei meinen Spaziergängen am
Attersee begleitet hat.«
Für das Heimathaus war dieses Weihnachtsfest ein ganz besonderes,
und so wurde in einer sofort einberufenen Sitzung fixiert, das Bild zu
behalten, auszustellen und als einzigartigen Beweis für die Klimt’schen
Sommerfrischetage am Attersee zu bewahren.
Die Geschichte ist (leider) frei erfunden –
aber vielleicht ruht ja tatsächlich die eine oder andere Skizze des großen
Meisters auf einem der Dachböden in den Häusern rund um den Attersee.
Lena Avanzini
Schwarze Spitze (Weihnachten 2012)
»Leise rieselt der Schnee«, singen die Wiltener
Sängerknaben. Glockenrein schallen ihre Stimmen aus den Lautsprecherboxen. Für
Magda klingt allerdings zu viel pubertärer Bubenschweiß mit, um so etwas wie Weihnachtsstimmung
aufkommen zu lassen.
Sie räumt die Teller in die Geschirrspülmaschine.
Anstatt des obligaten Karpfens hat Toni sich heuer Schlutzkrapfen
zum Abendessen gewünscht, selbst gemachte natürlich. Dank der Nudelmaschine,
die er ihr geschenkt hat (Weihnachten 2011), war das gar keine Hexerei.
Für die Füllung hielt Magda sich streng an das Rezept ihrer
Großmutter. Sie zerkleinerte Schalotten, Schnittlauch und Graukäse mit der
Küchenmaschine (Weihnachten 1998), zerstieß Koriander und Pfefferkörner minutenlang
im Mörser, vermischte alle Zutaten mit den gepressten Kartoffeln, dem Topfen
und der Sahne und stampfte sie so lange, bis eine zähe Masse entstand.
Die fertigen Teigtaschen konnten sich sehen lassen. Mit Salbeibutter
serviert, schmeckten sie himmlisch.
Toni ist wie erwartet in Begeisterung ausgebrochen und hat mit
Superlativen (»haubenverdächtig!« und »weltbeste Schlutzkrapfen!«) um sich
geworfen.
Magda schüttelt den Kopf und legt die Schürze ab.
»O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie treu sind deine Blätter!«,
jubilieren die Wiltener.
Der Baum, den Toni gekauft hat (Weihnachten 2004), hat besonders
treue Blätter. Sie sind nämlich aus Kunststoff. Acht Jahre Treue – welcher
Ehemann kann das schon bieten?
Nicht einmal ein begnadeter Langweiler wie Toni, denkt Magda. Im Bad
frischt sie ihr Lippenrot auf. Zum Weihnachtsstern passend, wählt sie Dior
Nummer 999. (Kein Geschenk ihres Mannes, sondern ein Luxus, den sie unauffällig
vom Haushaltsgeld abzweigen musste.)
»Maria durch ein Dornwald ging«, säuseln die Sängerknaben, als Magda
sich ins Wohnzimmer begibt. »Kyrie eleison.«
Bläulichen Dornen gleich strahlen die Nadeln des Baumes im kühlen
Licht seiner Glühlämpchen, und einen Herzschlag lang glaubt sie, der pausbäckige
Engel an seiner Spitze würde ihr zuzwinkern.
»Frohe Weihnachten, Toni!« Sie überreicht ihrem Mann das Geschenk,
das auszusuchen ihr so viel Spaß gemacht hat.
»Frohe Weihnachten, Schatz!« Toni verzieht seine Lippen zu einem
gönnerhaften Lächeln.
Magda fröstelt beim Anblick seiner Augenpartie, die bereits zweimal
geliftet wurde und von seinem Lächeln stets unberührt bleibt. Das Päckchen, das
er ihr in die Hand drückt, ist länglich und fühlt sich hart an.
Sie schüttelt es. »Lass mich raten: Ist es ein
Hightech-Spargelschäler? Oder ein Erdbeerentstieler von Alessi? Oder gar …«,
sie sieht ihm triumphierend in die Augen, »ein neues Messer?«
Toni hebt die Brauen. Über seiner Nasenwurzel bildet sich eine
senkrechte Falte, ein untrügliches Indiz für Missstimmung. Magda weiß, was er
von ihr erwartet: dass sie das Päckchen aufreißt, einen spitzen Schrei der
Überraschung ausstößt und in dankbare Begeisterung ausbricht. Bisher hat sie
immer mitgespielt, obwohl sie meistens schon Wochen
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