Mords-Bescherung
Stattdessen nahm er, wie es die Familie
wünschte, die dünnlippige blonde Bauerntochter, die aus demselben Umfeld
stammte wie er, und feierte mit ihr eine prächtige Hochzeit in original
Brixentaler Tracht, während ich, die heimliche »Camilla von Kirchberg«, mit
tränenverschleiertem Blick nach Wien ins Musical reiste. Aber das lag hinter
mir, als ich, trotz der Kälte inzwischen schwitzend, zusammen mit den Kindern
vor mir die ersten Häuser der Siedlung erreichte. Die Tränen waren getrocknet
und einer Entschlossenheit gewichen, die mir manchmal selbst unheimlich war.
Nichts würde mich aufhalten. Es war allerhöchste Zeit, meinem Leben eine neue
Richtung zu geben. Mit festem Griff umschloss ich die Waffe unter meinem Umhang
und musterte im Vorübergehen die abscheuliche Weihnachtsdekoration in den
winzigen Vorgärten der Häuschen. Hier hatte augenscheinlich einer der Bewohner
die zündende Idee gehabt, worauf es ihm alle anderen Nachbarn gleichgetan und
ihre Fenster, Türen, Balkonbrüstungen und Bäume ebenfalls mit Lichterketten aus
dem Baumarkt umwickelt hatten. Ergänzt wurden die Ketten für außen durch
Ketten, Christbäume, Nikoläuse und Rentiere für innen, die sich in den Fenstern
mit hässlichen Holzpyramiden um die Plätze schlugen. Dahinter erspähte ich
Adventkränze auf Couchtischen, Kinder vorm Fernseher und Frauen mit Schürzen,
die Plätzchenteig ausrollten. Mein blutiger Plan passte eigentlich überhaupt
nicht in den besinnlichen Advent, schoss es mir durch den Kopf, aber ich wischte
den weichlichen Gedanken weg, indem ich mir in Erinnerung rief, dass die Sache
sowieso gänzlich unblutig über die Bühne gehen würde. Von außen besehen
zumindest. Entschlossen ging ich weiter, bis die Kindergruppe vor mir auf
einmal stoppte und an einer Haustür klingelte. Völlig überrascht blieb auch ich
kurz stehen und überlegte, was ich jetzt tun sollte. Mit Schrecken erkannte
ich, dass ich zwar genau geplant hatte, wie ich unerkannt hierherkäme, dabei
jedoch übersehen hatte, dass ich viel zu früh unterwegs sein würde. Ich konnte
unmöglich zur Tat schreiten, solange es überall von Kindern wimmelte, die die
Bewohner der Siedlung aufscheuchten und vor ihre Haustüren lockten. Trotzdem
schaffte ich es, einfach weiterzugehen, als ob auch ich ein Ziel hätte, während
ich verzweifelt nach einem Ausweg Ausschau hielt. Ich entdeckte ihn am Ende der
Straße, die in einer Sackgasse mündete und in tiefem Dunkel lag. Allerdings
hatte der Radlader, der die Straße räumte, genau dort einen riesigen Haufen
Schnee aufgetürmt, über den ich wohl oder übel hinwegklettern müsste, wollte
ich im Dunkel der Nacht verschwinden. Da mir jedoch nichts anderes übrig blieb,
stapfte ich zielstrebig darauf zu, während hinter mir die Kinder zu singen
begannen. »Wer klopfet an? – O, zwei gar arme Leut«, klang es an mein Ohr, und
weiter: »Was wollt ihr denn? O, gebt uns Herberg heut!« Unwillkürlich begann
ich die Melodie mitzupfeifen. In dem Moment war ich genau auf der Höhe von
Tonis Haus, dessen Vorhänge allerdings zugezogen waren. »Ja, versteck dich
nur«, flüsterte ich meiner Rivalin zu, ohne den Schritt zu verlangsamen. »Aber
du entkommst mir nicht.« Plötzlich fühlte ich mich mächtig. Und kalt wie Uma
Thurman in »Kill Bill«. Ohne den leisesten Anflug von Reue betrachtete ich den
Kinderschlitten vor dem Haus. Nein, ich würde das jetzt durchziehen, so wie ich
es mir ausgedacht hatte. Ich würde unerkannt entkommen und endlich das Leben
beginnen, das ich mir schon so lange gewünscht hatte. Ich lächelte siegesgewiss
unter Tonis riesigem Hut, während mir das Herz bis zum Hals schlug. Dann war
die Straße zu Ende, und ich raffte kurz entschlossen meinen langen Umhang, um
über den Schneeberg zu klettern. Ich hoffte inständig, niemandem würde der
merkwürdige, einsame Anklöpfler auffallen, der wie ein Kind im Schnee
herumturnte. Nur mit Mühe kroch ich höher, weil meine Beine bis über die Knie
versanken. Die Stiefel waren voll Schnee, und die Oberschenkel in den Jeans
fühlten sich augenblicklich nass und eisig kalt an. Wahrscheinlich würde ich
zur Strafe an einer Lungenentzündung sterben, wenn das hier vorbei war,
überlegte ich wenig konstruktiv, während ich mich keuchend weiter vorarbeitete.
Dann stand ich endlich auf der anderen Seite und sah mich um. Vor mir
erstreckte sich eine große weiße Wiese, die im hellen Mondlicht leuchtete. Sie
fiel zum Dorf hin steil bergab, das zu meiner
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