Mords-Bescherung
weit. Die Hausherrin öffnete die Tür zur Stube,
ging ans Fenster, zog die Vorhänge zurück und öffnete das alte doppeltürige
Holzrahmenfenster. Unmittelbar darauf breitete sich der kalte Wind der
beginnenden Nacht in der warmen Stube aus. Die Glaskugeln, Glocken und das
Lametta am Weihnachtsbaum tanzten zum Hauch des Windes. Ab und zu klirrten die
Glaskugeln, wenn sie sich sanft berührten, und die Glöckchen begannen zu
läuten. Der Christbaum war im Wind in Bewegung geraten. Omi Hermi verließ den
Raum und schloss die Tür hinter sich.
Jetzt waren die Freunde unter sich, es musste schnell gehandelt
werden. Doch da! Plötzlich erschien Carlo, der Hauskater, auf der Fensterbank.
Mit einem gewaltigen Satz war er von draußen hinaufgesprungen. Mit seinen im
Dunkeln funkelnden Augen musterte er den Raum. Würde er den Plan der Freunde
vereiteln? Zum Glück nicht. Mit dem offenen Fenster sah er seine Chance
gekommen. Er wollte von der kalten Scheune in die warme Stube. Auf der warmen
Ofenbank seitlich des Kamins nahm er genussvoll Platz.
Okay, es konnte losgehen. Jan sah wieder nach unten, das Etwas aus
China taumelte im Wind ob seiner Leichtigkeit wild von einer Seite zur anderen.
»Du kannst es schaffen«, sprach Gerti Jan Mut zu.
»Aber vorerst muss ich genug Schwung haben. Muss in einem Bogen
runter. Das Ding ist ja nicht direkt unter mir.«
Jan hatte Angst. Er hatte so etwas noch nie gemacht. Was, wenn er es
nicht schaffen würde? Wenn er das Etwas aus China verfehlen würde, daran
erfolglos vorbeizöge? Wenn er doch nicht im Geäst von dem großen Ast
aufgefangen würde? Wäre es möglich, hätte er jetzt am liebsten in die Hose
gemacht.
» Mon ami , ich halte dir die Daumen«,
ermutigte auch Jean-Paul ihn.
Durch den Wind angetrieben, war Jan bereits ordentlich ins Schaukeln
geraten. Links, rechts, links, rechts. Und noch einmal, und noch einmal.
»Jetzt!«, hörte er Fritz rufen, und Jan löste sich vom Haken. Der
voluminöse Körper stürzte in einem leichten Bogen nach unten, direkt auf das
Etwas in Orange, und riss es im Fall mit seinem Gewicht vom Haken. Gut gezielt!
Er selbst konnte den Absturz des Opfers nicht weiter verfolgen, denn er war
ganz damit beschäftigt, im Reisig des großen Astes zu landen. Er wollte nicht
am Boden zerschellen. Und er hatte Glück. Die dichten Tannennadeln fingen ihn
auf, er rutschte noch etwas Richtung Stamm, aber er war sicher und weich
gelandet. Geschafft!
»Bravo, ma grand-fils «, hörte er Jean-Paul
von oben rufen. Und auch die anderen Freunde waren begeistert und voll des
Lobes.
»Und, was ist mit dem orangefarbenen Etwas?«, rief er etwas atemlos
nach oben, konnte es selbst nicht sehen. Die dichten Tannennadeln versperrten
ihm die Sicht nach unten.
»Einige Male wie ein Gummiball aufgesprungen. Ein Zeichen für Kater
Carlo. Sofort war er zur Stelle und hat das grausliche Etwas zerbissen. Super,
dieses Ding sind wir los«, rief Rosi.
Die Tür ging auf, die Hausherrin trat in die nur vom Feuer des
Kamins leicht erhellte Stube, um das Fenster zu schließen. Im Dunkel übersah
sie die zerstörten Reste der am Boden liegenden orangefarbenen Plastikkugel. Es
knirschte unter ihren Füßen, und unsere Freunde lächelten still vor sich hin.
Nachdem das Fenster geschlossen war, drehte Omi Hermi das Licht an und besah
das Malheur.
»Jessas, ach Gott!« Während sie sich zu Boden bückte, sah sie die
glockenförmige böhmische Glaskugel im unteren Geäst des Christbaums liegen,
holte sie hervor und hängte diese wieder auf ihren alten Platz zurück.
»War der Wind doch zu stark«, murmelte sie und entsorgte die
zertretene Plastikkugel. »Zum Glück sind die Glaskugeln heil geblieben.«
Kater Carlo hatte es sich inzwischen auf der wärmenden Ofenbank
wieder gemütlich gemacht und schnurrte zufrieden.
Zwei Wochen später war alles vorbei. Keine Gäste mehr, keine
duftenden Speisen, kein Kerzenschimmer mehr am Christbaum. Behutsam wurden
unsere Freunde von Omi Hermi wieder in Seidenpapier gewickelt und in die große
Schachtel sortiert. Der Stress mit dem orangefarbenen Eindringling war
überwunden, und man konnte sich wieder ein Jahr lang ausruhen.
»Danke Euch nochmals fürs Daumendrücken«, so Jan.
»Gern, und danke für deinen Einsatz«, kam es von allen zurück.
Omi Hermi schien es, als ob sie etwas gehört hätte. Sie blieb
bewegungslos neben dem Weihnachtsbaum stehen, lauschte in den Raum. »Ach was.
Langsam werde ich auch schon alt!«
Andy Woerz
Herr
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