Mords-Bescherung
Schneeberger
Sanft fiel die Schneeflocke vom Himmel, beendete ihren
torkelnden Tanz, legte sich, so als sei sie erschöpft von ihrer langen Reise,
auf die Hutkrempe, hielt einen Atemzug lang inne, verwandelte sich in einen
unscheinbaren Tropfen, versickerte langsam im Filz und hinterließ an jener
Stelle einen feuchten dunklen Klecks. Diese Schneeflocke war nur eine von
vielen, die an jenem Weihnachtsmorgen vom Himmel fiel. Ohne langes Federlesen.
Ohne die Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. Ohne sich darum zu kümmern, was andere
darüber denken mochten.
Herr Schneeberger, der Träger des schwarzen Hutes, nahm keine Notiz
davon, dass die vereiste Flocke nur wenige Zentimeter über seinem rechten Auge
den letzten Augenblicken ihrer natürlichen Bestimmung folgte. Er war für das
Bewundern und Rühmen von derlei Feinheiten nicht in der erforderlichen
Stimmung. Reglos stand er nahe dem niedrigen Heckenzaun im talseitigen
Vorgarten des schmucken Wochenendhäuschens, an dessen Hinterseite ein kleiner
hölzerner Schuppen angebaut war, der seinerseits direkt an eine steil
aufragende Felswand grenzte. Ein schmaler Forstweg führte durch den dichten
Kiefernwald direkt vom Tal herauf und mündete in einen kleinen Platz vor dem
hölzernen, hüfthohen Gatter des Häuschens. Es war eine jener gepflegten, da
stets bewirtschafteten Hütten, die von ihren Besitzern wochenweise an
Erholungssuchende vermietet werden, welche die Abgeschiedenheit eines
abgelegenen Häuschens in den Tiroler Bergen einem Badeurlaub am Meer vorzogen.
Herr Schneeberger war noch nicht lange hier und konnte sich am
Anblick der scheinbar makellosen Landschaft schier unerschöpflich erquicken.
Man ist sogar geneigt zu behaupten, die wonnetrunken machende Sicht auf die
ortsgegebene Geographie wäre ein kurzer Vorgeschmack auf die Ewigkeit, wäre
nicht … ja, wäre nicht die Aussicht auf Herrn Schneebergers große weite Welt in
den vergangenen Nachtstunden abrupt durch eine Ungeheuerlichkeit zutiefst und
empfindlich getrübt worden. Mit fassungslosem Blick starrte Herr Schneeberger
auf seine in viele Teile zerstückelte Gefährtin, die, nicht weit von ihm, auf
dem Boden nahe dem Gatter lag.
Wie grausam Menschen doch sein können, sinnierte er mit traurigem
Blick. Und er erinnerte sich an die glückliche Zeit, als sie zusammen mit den
Kindern gespielt und die arglose Gemeinsamkeit genossen hatten. In
unausgesprochenem Einverständnis mit der Natur. Standhaft und nahezu
unbeirrbar. Man erfährt viel über Menschen, wenn man sich ansieht, wie sie ihre
Kinder beschäftigen … und hier schien die Idylle perfekt, philosophierte Herr
Schneeberger.
Herr Schneeberger wusste nicht, wie lange er schon so reglos dastand
und nachdachte, als ständig lauter werdendes Motorengeräusch die heimelige
Stille des beginnenden Tages durchbrach. Etwas weiter unten im Tal erblickte er
ein Fahrzeug, das sich anschickte, den verschneiten Forstweg heraufzukommen,
direkt an den Ort des Verbrechens. Es hatte zwei blaue, rotierende Lichter auf
dem Dach, doch diese muteten wie eine armselige, da unterbestückte, bunt
blinkende Weihnachtsgirlande an, wie sie Herr Schneeberger auch auf dem Kopf
einer billigen Plastikfigur am Fenster des Wochenendhäuschens gesehen hatte.
Der Schnee knarzte unter den mit Schneeketten umfassten Reifen, als
der Wagen am Ende des Forstweges stehen blieb und der Motor, von einem letzten
mechanischen Hüsteln begleitet, abgestellt wurde. Für einige Sekunden herrschte
wieder wohlige Ruhe.
Die Wagentür wurde geöffnet, und ein uniformierter Mann entstieg dem
Gefährt.
»Hardigatti-jo-lecko-mio-da-hot’s-an-Zåpf’n-na-des-hun-i-nu-braucht.« 1
Der mit einer weißen Tellerkappe Behütete sprach es wie ein einziges
Wort aus. Dem genervten Gesichtsausdruck mit den zum Kussmund gespitzten Lippen
war zu entnehmen, dass er mit der gegenwärtig anstehenden Gesamtsituation nicht
besonders glücklich war.
»Scheiß da nix. Aber wenn da Helli a G’wirg beinander hot, miass ma
eam höf’n« 2 , meinte der andere, während er auch aus dem
Wagen ausstieg. Sie blickten sich an und kicherten, in der Vorfreude auf einen
zur Genüge eingeübten Scherz.
»Die Polizei – dein Freund – und Helfer!«, skandierten beide
gleichsam den Satz so, als würden die Worte wie ein Rinnsal über einen kleinen
Felsvorsprung hinabplätschern, so, als hätten sie den Lehrspruch schon viele
Male zum Besten gegeben.
»Und des oan Tåg nachm Åpfentsunntog. De Woch’n fångt glei scho
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