Mords-Bescherung
war eindeutig die
Arbeit eines Könners. Da war jemand, der sich des Problems annahm, mit
fachkundigen Blicken die grausame Situation erfasste und detailgenau festhielt.
Wie oft er solche Untersuchungen wohl machen musste? Wie viele Verbrechen er
wohl zu klären hatte?
»Hmmm … Fuchzg am Tag« 11 , murmelte Keffl,
als hätte er die Frage gehört.
Herr Schneeberger war einerseits entsetzt, wie häufig so eine Untat
vorkam, zum anderen beruhigte es ihn, dass er es hier offensichtlich mit
geübten Spezialisten zu tun hatte. Es schien außer Zweifel, dass der Fall auch
ohne sein aktives Zutun aufgeklärt werden würde, und vermutlich war es auch ein
sprachlicher Code der Ermittler, den nur Eingeweihte verstehen, als sie sagten:
»Mechast du des net? War des nix fia di, ha?« 12
Fragend blickte der Keffl seinen Kollegen an.
»Na, fliag ma decht o. I måg’s Meer mehr.« 13
Ich, ich! Ich! Ich!, rief Herr Schneeberger aufgeregt. Ich weiß
mehr, mehr! Ich weiß alles! Ich habe die Ungeheuerlichkeit gesehen, und ich
kann sie bezeugen! Ich möchte! Ich will! Aber seine Worte blieben ungehört.
Wenn sie ihn doch nur fragen würden, ihm nur ein wenig Beachtung schenkten. Er
hat sich mit der Verständigung mit den Menschen zeit seines Lebens sehr, sehr
schwergetan. Genau genommen hatte es noch nie geklappt. Das musste er in diesem
Moment wieder einmal leidvoll feststellen. Er, der Herr Schneeberger, der
pummelige Schneemann im Vorgarten des Wochenendhäuschens in den Tiroler Bergen.
Prachtvoll und mit viel Liebe von den Kindern der derzeitigen Hausbewohner
geformt. Mit einem liebevoll und detailreich aufgemalten Frackjackett aus
schwarzer Lebensmittelfarbe und einem Büschel Schneeglöckchen auf dem breiten
Revers.
Sie hatten ihn liebevoll »Herr Schneeberger« genannt, und Herrn
Schneeberger gefiel das. Nicht weit von ihm entfernt bauten sie aus einer Laune
heraus ein zweites Schneegebilde. Diesmal etwas zierlicher und mit weiblichen
Rundungen. Sonst sei er ganz allein, und es gäbe ohnehin zu wenige Schneefrauen
auf dieser Welt, kicherten die Kinder.
Keffl klappte sein Notizbuch sorgfältig zu und steckte es gemeinsam
mit der Kamera in seine Brusttasche. Dann beugte er sich zur zerstückelten
Leiche und nahm eine Handvoll Schnee von dem, was früher ihr linker Arm gewesen
war …
Herr Schneeberger war beeindruckt von der Genauigkeit, mit der die
Untersuchung durchgeführt wurde.
… formte ihn zu einer Kugel …
Man werde nun wohl aufgrund der Beschaffenheit des Materials eine
Analyse …
… und warf den Schneeball mit weit ausholender Handbewegung auf
seinen Kollegen.
Herrn Schneebergers Augen weiteten sich vor Schreck.
»Fliag decht o, ezat! Mir is eh scho so koit!« 14 ,
maulte der angeschossene Polizist und wischte angeekelt über den weißen Batzen
Schnee auf seiner Brust.
Herr Schneeberger war sich nun sicher. Der pietätlose Umgang mit der
Leiche deutete eindeutig darauf hin, dass die beiden Polizisten frustriert
waren und in ihren Ermittlungen feststeckten. Oder hatten sie die Suche nach
dem Schuldigen bereits aufgegeben? So schnell?
Zu schnell!, erkannte er betrübt und stieß einen lautlosen Seufzer
des Bedauerns aus. Es fehlte ihm nicht an Willenskraft. Der feiste Schneemann
war fest entschlossen, den beiden Uniformierten den Mörder seiner Gefährtin zu
benennen. Wenn er um alles in der Welt nur wüsste, wie.
Die beiden Polizisten gingen nun auf die Haustür zu, läuteten, und
Keffl klopfte mit der geballten Faust an die Tür.
»Aufmachen! Polizei!«, rief er mit tiefer, kräftiger Stimme.
Christian putzte sich noch immer den verbliebenen Rest von Herrn Schneebergers
Gefährtin vom Mantel. Es war wohl mehr ein nervöser Reflex, der Ärger über den
Treffer, denn man konnte beim besten Willen nicht die geringste Flocke an ihm
sehen. Nach einer kurzen Weile wurde die Tür geöffnet, und ein stämmiger Mann
begrüßte sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
»I huns glei. Kemmts dawei eina, Manda!« 15
Herr Schneeberger erstarrte vor Furcht, und hätten die Männer ihn in
diesem Augenblick angesehen, hätten sie vielleicht sogar bemerkt, dass er um
eine Nuance bleicher im Gesicht wurde, als er es ohnehin war.
Gefahr! Das ist er! Der Gnadenlose! Der Unheilbringer! Der Mörder!
Geht nicht zu ihm! Er ist es, der –
Die Tür fiel mit einem satten Knall hinter den dreien ins Schloss.
Niemand hört dir zu, solange du keine Fehler machst!, dachte Herr
Schneeberger und überlegte
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