Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
mittelalterliche Folterkammer in einem ehrwürdigen Kloster. Wer hätte das gedacht. Er stand wieder auf und bemerkte, dass seine Knie wackelig waren. Dieser Raum war entsetzlich, und er wollte hier sofort wieder raus. Er war nicht der Typ, der sich in Folterkammern wohlfühlte.
Warum gab es in diesem Kloster eine Folterkammer? Wurde in Klöstern nicht nur gebetet? Verwirrt blickte er sich erneut um.
Verdammt noch mal, das passte doch alles gar nicht zusammen. Sein Bauch sagte ihm, dass es hier noch etwas gab, auf das er unbedingt kommen musste. Jetzt. Sofort.
Denk nach. Denk nach, befahl er sich und schloss die Augen. Stillgelegtes Kloster. Seit fünfzig Jahren unbewohnt. Staub, Schmutz. Muffig.
Aber Strom. Wofür?
Und dann begriff er.
Im Erdgeschoss hatte es modrig gerochen.
Aber hier unten im Keller, der ja wohl genauso lange unbenutzt war wie die oberen Räumlichkeiten – hier gab es Strom, und hier roch es ganz normal. So, als ob hier regelmäßig sauber gemacht würde. Er ging nun mit sehr wachen Augen durch den Raum, betrachtete jedes Gerät, spähte in jede Ecke. Kein Schmutz. Keine Spinnweben. Nichts. Dieser Raum wurde häufig benutzt, das wurde ihm spätestens klar, als er in einer Ecke einen kleinen Kühlschrank mit Bier, Wein und Sekt fand.
•
Sandra war sauer. Sie hätte den Chef jetzt wirklich dringend gebraucht. Was musste er sich stundenlang auf dem Klostergelände herumtreiben? Und dann war er noch nicht mal erreichbar.
Vor ihr saßen Gerlinde Müller und Josefine Weiß, die Sekretärinnen von Reifenberger und Debus. Beide waren Ende fünfzig und sahen so aus, wie man sich Sekretärinnen in diesem Alter vorstellte: unscheinbarer Rock und Bluse, Weste und ergraute Haare, kaum Schmuck, Ehering, Brille mit befestigter Kette.
Und sie waren, da hatte Sebastian leider recht behalten, stumm wie die Austern.
»Es waren ganz normale Chefs. Zum Geburtstag haben sie uns auch immer einen Blumenstrauß geschenkt«, war die einstimmige Aussage von Gerlinde und Josefine.
Nein, es hatte keine Differenzen zwischen den beiden Partnern gegeben. Nein, man wusste auch nichts davon, ob die Ehen glücklich waren oder nicht, darüber wurde im Büro nicht gesprochen. Das geht uns ja auch gar nichts an, wir sind ja nur die Sekretärinnen.
Außer den beiden gab es noch Lena, die Praktikantin, die aber vor Aufregung Schluckauf bekam und auch sonst keinen geraden Satz herausbrachte. Sie war erst seit Kurzem da und konnte gar nichts sagen, »weil ich ja sowieso immer ganz hinten gesessen und die Ablage gemacht habe«.
Und es gab Aysun, die Reinemachefrau, die immer von 18 bis 21 Uhr kam, also dann, wenn sowieso keiner mehr im Büro war.
»Manchmal Chefs noch da«, sagte sie achselzuckend. »Ein mal Streit.«
»Um was ging es?« Sandra hatte schon den Stift ge zückt.
»Weiß nicht. Vielleicht Geld. Schwester.«
»Schwester? Von wem?«
»Weiß nicht. War Frau da. Hat gesagt, Schwester.«
»Von wem?«, wiederholte Sandra.
»Weiß nicht.« Aysun schien wirklich nichts zu wissen.
»Wie geht weiter hier?«, fragte sie. »Noch putzen hier?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Sandra. »Wir werden Sie alle schnellstmöglich informieren.«
Aysun nickte, stand auf und verließ fluchtartig den Raum.
Sandra starrte auf ihren Block. Keine Auffälligkeiten. Blumensträuße. Schwester.
Schwester.
Das war doch ein Ansatz. Sie holte ihr Handy raus und rief in Traunstein an. Die Kollegen sollten doch mal die familiären Verhältnisse der beiden Toten überprüfen. Sie hätte natürlich auch die Ehefrauen fragen können, aber Sandra wollte lieber eine wirklich zuverlässige Auskunft.
Schon ein paar Minuten später wurde sie zurückgerufen. Fehlanzeige. Beide Männer waren Einzelkinder gewesen.
•
»Tut mir leid, Mutter«, sagte Gabriel zu seiner Hündin, die ihn vorwurfsvoll anblickte. Allerdings hatte sie keinen Schaden genommen, weil unter dem Baum noch immer Schatten war. Gabriel machte sie los und ging langsam zur Hauptstraße. Nach dem kühlen Kloster war er in der Hitze beinahe kollabiert. Er brauchte dringend etwas zu trinken. Sein Handy, das im Keller keinen Empfang gehabt hatte, piepste und zeigte ihm an, dass Sandra dreimal versucht hatte, ihn anzurufen. Sie hatte auch eine relativ genervte Nachricht hinterlassen, in der sie fragte, ob sie denn alles allein machen sollte. Und sie sei jetzt in der Firma, um die Angestellten zu befragen. Das war gut. Das sollte sie mal machen. Er musste jetzt noch einen Moment
Weitere Kostenlose Bücher