Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
hätte. Gabriel musste sofort an das Zimmer seines Sohnes Ben denken. Der sprach seit einiger Zeit nicht nur wie ein junger Türke, sondern hatte auch das Wasserpfeife-Rauchen entdeckt. Zusammen mit einer großen Shisha hatten diverse orientalische Möbel in seinem Zimmer Einzug gehalten … Während Sandra beeindruckt durch den Raum spazierte, blickte Gabriel sich kopfschüttelnd um und frage sich, was die Bayern eigentlich an ihrem »Kini« fanden. Denn dass der Mann an Geschmacksverirrung gelitten hatte, war doch offensichtlich!
Schließlich machten sich Gabriel und Sandra an den Aufstieg zu ihrem eigentlichen Ziel. Es war schon später Nachmittag, und sie liefen nun doch Gefahr, in die Dunkelheit zu geraten.
Der Kommissar hatte mit Rücksicht auf Sandra das Fluchen eingestellt und folgte ihr mehr oder weniger schweigend auf dem schmalen Trampelpfad, der sie in Richtung Gipfel führte. In einer letzten Kraftanstrengung ließen sie nun die letzten Reste an Vegetation hinter sich und fanden sich in einer rauen, hochalpinen Felslandschaft wieder. Sie war kolossal und beeindruckend, und zugleich auch bedrohlich und lebensfeindlich.
Zum ersten Mal ahnte Gabriel, welche Faszination so viele Menschen ins Gebirge trieb. Allerdings hätte es ihm vollauf genügt, sich das Ganze in einer Natur-Doku anzusehen, während er zu Hause vor dem Fernseher saß und einen Riesling genoss.
Der kurze Anflug von Euphorie verschwand allerdings schnell wieder, denn etwa eine halbe Stunde, nachdem sie losgegangen waren, schlug das Wetter um. Wie aus dem Nichts bezog sich der Himmel mit tief hängenden grauen Wolken, aus denen bald auch noch kalter Schneegriesel fiel.
»Hey, was soll das denn? Es ist noch lange nicht Winter! Höchstens so etwas wie Frühherbst«, protestierte Gabriel zornig.
Sandra wusste nicht genau, ob der Kommissar seine Worte an sie gerichtet hatte oder direkt an die für das Wetter zuständige Stelle über ihnen.
»Ich fürchte, du täuschst dich! Wir sind jetzt auf über zweitausend Meter, und es ist Anfang Oktober. Da ist es nicht ungewöhnlich, dass es schneit. Und sag vor allem nicht, dass man dich nicht gewarnt hätte.«
»Ja, ja, ist ja gut«, grummelte Gabriel und zog sein Sakko fester um seine Schultern. Mit dem Schnee schien die Temperatur binnen weniger Minuten um etliche Grad gefallen zu sein. Er fror erbärmlich.
Sandra hatte natürlich recht. Während sie sich vorhin auf Anraten eines LKA -Mitarbeiters trotz der Eile ordentlich ausgerüstet hatte – inklusive Goretex-Bergschuhen und einer Kunstfaser-Jacke, mit der man vermutlich auch im Weltraum überleben konnte –, hatte Gabriel es vorgezogen, in der Zeit einen Kaffee zu trinken. Er besaß ordentliche Halbschuhe, und bisher hatte seine geliebte alte Jacke immer noch ausgereicht. Und er hatte schließlich nicht vor, länger als nötig im Gebirge zu bleiben.
Jetzt allerdings ärgerte er sich, dass er so stur gewesen war. Ein eiskalter Wind zerzauste ihm die Haare, und aus dem nasskalten Griesel wurde allmählich dichter Schneefall.
Schon nach wenigen Schritten waren seine Schuhe vollständig durchnässt. Statt der Blasen an den Fersen quälten ihn nun seine eiskalten Zehen. Und so kehrte der Kommissar doch wieder zu seinem Tagesmantra zurück: »Himmel, Arsch und Zwirn! Womit habe ich das nur verdient?«
Trost fand Gabriel jetzt nur noch im Gedanken an sein Reisegepäck. In der kleinen Umhängetasche, die er bei sich trug, befanden sich neben Wäsche zum Wechseln ein Stück Brot, Käse und ein bayerischer Schinken. Alles beste Qualität, eigenhändig bei Käfer in München erstanden. Das war die Art von Ausrüstung, die er für überlebenswichtig hielt.
Der Schinken ließ den Kommissar an die arme Mutter denken, seinen geliebten Hund, der immer noch verletzt in der Starnberger Tierklinik lag. Gabriel verspürte einen Stich im Inneren. Nur zu gerne hätte er den Schinken mit Mutter geteilt. Die wusste ein gutes Stück Fleisch immer zu schätzen.
»Schau mal, Chef. Wir haben es geschafft!«, sagte Sandra nach guten zwei Stunden mühsamer Wanderung mit erschöpfter Stimme.
Sie zeigte nach oben, wo sich verschwommen im Schneegestöber die Hütte abzeichnete. Das Gebäude schmiegte sich eng an eine steil aufragende Felswand, als suchte es dort Schutz vor der Unwirtlichkeit der Umgebung. Dabei schien es ein solider Bau zu sein. Die unteren beiden Stockwerke waren aus Bruchsteinen gemauert, das Obergeschoss und das Dach bestanden aus
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