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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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er trauert um seinen Sohn. Aber das ist es nicht.« Jung bemühte sich um einen normalen Tonfall. »Lassen Sie mal hören. Was haben Sie über ihn?«
    Charlotte beugte sich vor. Ihre Stimme klang, als hätte ihr vorheriger Disput gar nicht stattgefunden.
    »Eine fortschreitende Kontraktion der Finger führt zu einer geballten Faust. Ein Symbol für gehemmte Aggression und den unterdrückten Wunsch, einmal richtig auf den Tisch zu hauen.« Sie brach ab, um ihre Worte wirken zu lassen.
    »Wenn man ihn so sieht, kommt man eher nicht auf diese Idee«, erwiderte Jung.
    »Eben. Das ist ja gerade das Unheimliche an ihm. Vielleicht haben Sie darauf unbewusst reagiert. Empfindlich genug sind Sie ja.«
    »Sind Sie jetzt meine Therapeutin oder was?«, konterte Jung ungehalten. Sein Wunsch, die Diskussion zu beenden, wurde immer stärker.
    » Sie haben mir gesagt, was einen guten Ermittler ausmacht, nicht ich.«
    »Okay. Und welche Schlüsse ziehen Sie nun aus Ihren vermeintlichen Erkenntnissen?«
    »Noch keine. Ich speichere alles in meinem Kopf.«
    »Gut. Ich auch. Haben Sie sonst noch was?«, beendete er ärgerlich ihren Wortwechsel.
    Charlotte faltete ihre Serviette zusammen und legte sie auf den Teller. »Ich nehme Kontakt zu Ihrem Vertrauensmann auf. Wenn er mir die Dokumente geschickt hat, gehen wir sie durch. Sie telefonieren mit ihm wegen der Eltern. Mehr habe ich nicht.«
    »Okay. Gehen wir.«
    »Wohin?«
    »Ich geh noch mal ans Büffet. Und Sie?«
    »Ich bin mit dem Kapitän zum Joggen verabredet. Danach bin ich bei den Staatsanwälten.«
    »Geben Sie vorher die Mail-Adresse durch«, brummte Jung.
    »Schon erledigt. Bis dann!«
     
    *
     
    Jung grummelte lautlos vor sich hin. Was hatte diese Fitnesstussi auf ihrer Hochschule eigentlich gelernt? Er hatte auf einmal Appetit auf Bohnen und gebratenen Speck. Am Büffet schaufelte er sich eine ordentliche Portion auf den Teller und nahm noch eine Kanne frischen Kaffee mit an den Tisch. Verbissen machte er sich daran, die Kalorien- und Eiweißbomben zu verputzen. Nach der Hälfte schob er den Teller angewidert von sich. Der frische Kaffee war nicht besser als der alte.
    Er schaute auf die Uhr. Um zehn war er verabredet. Dann war es in Deutschland kurz vor Dienstschluss. Franzen hatte in Aussicht gestellt, bis dahin fertig zu sein.
     
    *
     
    Sein Handy meldete sich pünktlich. Ihre Begrüßung blieb kurz. Franzen hatte sich den Obduktionsbericht und die Liste der Hinterlassenschaften besorgt. Die Kopien waren auf dem elektronischen Weg nach Québec. Charlotte war schnell gewesen.
    »Hast du die Eltern sprechen können?«, fragte Jung.
    »Ja. Ich hatte die Mutter am Telefon. Sie … «
    »Und der Vater?«
    »Ist Arzt. Er war in der Praxis. Dafür … «
    »Du hast ihn nicht gesprochen?«
    »Nein«, seufzte Franzen. »Kannst du mich mal ausreden lassen, Tomi?«
    »Entschuldigung. Schieß los, Morten.«
    »Mit dem Vater konnte ich nicht sprechen. Aber sie war umso gesprächiger«, fuhr er lebhaft fort. »Sie hegt keinen Groll gegen die Marine. Sie macht der Schiffsführung und der Besatzung auch keine Vorwürfe. Ich fand sie ungewöhnlich gefasst und verständnisvoll. Fast unheimlich. Von einer Mutter hätte ich eigentlich Tränen erwartet, Vorwürfe, Beschuldigungen.«
    »Vielleicht kannte sie ihre Tochter zu gut.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ihre Tochter könnte zum Beispiel unter ADHS gelitten haben.«
    »ADHS?«
    »Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätssyndrom.«
    »Was immer das auch sein mag, aber diese Art von Abgeklärtheit … Ich weiß nicht. Du verstehst, was ich sagen will, nicht wahr?«
    »Ja, ich verstehe, was du sagen willst. Aber was genau hat sie gesagt?«, fragte Jung ungeduldig. »Ich würde … «
    »Tomi! Wart’s ab!«, stöhnte Franzen. »Also von Anfang an. So kurz wie möglich. Ich bin zuerst mit ihr die Liste durchgegangen. Es fehlen das Handy ihrer Tochter und ein teurer Lederblouson. Neben ihrem Kulturbeutel hatte sie noch ein Kosmetiktäschchen. Das fehlt auch. Sonst ist alles da. Jedenfalls alles, woran sich die Mutter erinnern kann.«
    »Gut. Ist sie dazu schon vorher mal befragt worden?«
    »Nein. Dabei hätte sie sicherlich viel zu sagen gehabt. Sie ist eine sehr aufmerksame und besorgte Mutter. So jedenfalls mein Eindruck.«
    »Was hat dich darauf gebracht?«
    »Sie kennt sich in den Sachen ihrer Tochter sehr gut aus. Das ist schon mal ein erster Hinweis.«
    »Gibt es noch mehr?«
    »Klar. Sie ist ins Erzählen gekommen. Ich hatte keine

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