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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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aus, und er vernahm das ferne Wispern menschlicher Stimmen. Dann nahm das Tapsen seinen Rhythmus wieder auf. Ihm war, als lauere da unten eine Gefahr, die immer größer wurde. Er wurde wieder schneller. Nach kurzer Zeit fing sein Herz an zu hämmern. Er keuchte. Er verspürte stechende Schmerzen in der Lunge. Hinter ihm kam das Getrappel langsam näher. Wie weit war es noch entfernt? Die Luft wurde knapp. Seine Muskeln verkrampften. Die Schmerzen wurden schlimmer, sein Tempo immer langsamer. Scheißdunkelheit. Warum schien heute nicht ein heller Mond? Wie viel Stufen noch? 30, vielleicht 20? Er wendete den Kopf. Auf den Treppen unter ihm irrlichterte der Strahl einer Taschenlampe. Voraus konnte er im Licht der Laterne dichtes Gebüsch erkennen. Dahinter erhoben sich Bäume in den Nachthimmel. Da mussten Steine, Äste, vielleicht ein Knüppel zu finden sein. Der Gedanke beflügelte ihn. Hinter ihm kam das Tapsen immer näher: gleichmäßig, ausdauernd, rhythmisch. Nur noch ein paar Stufen. Er stolperte hechelnd auf die in fahles Licht getauchte Plattform und taumelte seitwärts in die Büsche. Er tastete schwer atmend blindlings im Unterholz umher und bekam einen armdicken Ast zu fassen. Erleichtert richtete er sich auf. Im Schutz der Dunkelheit atmete er tief durch und rang um Fassung. Er heftete seine Augen auf die im Licht der Laterne liegende Plattform. Jetzt hörte er jemanden laut atmen. Er hob den Ast über die Schulter, bereit zuzuschlagen. Ein Schuh schob sich in den Lichtkegel. Er drängte aus seinem Versteck und …
    »He, he, was soll das denn?«
    »Charlotte!«, rief er überrascht.
    Sie sprang beiseite und kam jenseits des Pfades ins Straucheln.
    »Chef! Was machen Sie da?«
    Er ließ den Arm sinken und atmete laut aus. Sie trat zurück ins Licht und sah ihn entrüstet an.
    »Was haben Sie vor? Wollen Sie mich totschlagen?«
    »Mein Gott, haben Sie mir eine Angst eingejagt«, stöhnte er erleichtert. »Hätte nicht viel gefehlt und ich hätte Sie erwischt. Entschuldigung!«, japste er. »Was machen Sie hier?«
    »Ich drehe meine Abendrunde. Was ist denn? Sie schnaufen ja wie ein Walross.«
    »Ich fühlte mich verfolgt und wollte mich wehren«, erwiderte er aufgebracht.
    Sie sah ihn zweifelnd an und schwieg.
    Es vergingen gefühlte Minuten, in denen sie ihren Atem unter Kontrolle brachten und Jung sich zu beruhigen versuchte.
    »Fürchten Sie sich nicht in der Dunkelheit, so mutterseelenallein?«, keuchte er.
    »Nein. Wieso? Außerdem bin ich nicht allein. Ich traf das Faktotum vom Schiff. Nur mal so, zu Ihrer Beruhigung. Er … «
    »Den Steward?«, fragte Jung, noch immer um Atem ringend.
    »Ja, genau den. Er hat sogar ein paar Worte mit mir gewechselt. Vielleicht lag’s am Alkohol. Er hatte getrunken.«
    »Er war besoffen?«
    »Nein. Aber er hatte eine Fahne.«
    »Was hat er denn da unten mit Ihnen geredet?«
    »Warum regen Sie sich so auf, Chef? Er … «
    »Wo ist er?«
    »Er kehrte um. Die Treppe war ihm zu beschwerlich.«
    »Ich habe es gewusst!«, platzte Jung heraus. »Ich bin mir absolut sicher, dass … «
    »Was haben Sie gewusst?«
    »Dass er mich verfolgt.«
    »Warum sollte er Sie verfolgen, Chef? Er ist alt. Sie … «
    »Das weiß ich nicht!«, schrie er erregt. »Aber ich … «
    »Chef, so beruhigen Sie sich doch. Sie sollten lieber joggen. Dann geht das vorbei. Laufen ist gut für alles. Ich könnte Ihnen … «
    »Danke, danke, bitte nicht schon wieder«, wehrte er ab. »Ich will … «
    »Okay. Schon gut. Es ist ja nichts passiert.«
    »Nichts passiert?«, schnaubte er erneut. »Was … «
    »Nun lassen Sie doch mal Dampf ab, Chef. Bitte! Das führt doch zu nichts.«
    »Okay, okay. Lassen wir Dampf ab«, stöhnte er entkräftet. »Was schlagen Sie vor?«
    »Wir gehen jetzt gemütlich nach Hause. Zusammen. Es ist nicht mehr weit. Morgen ist auch noch ein Tag.«
    »Nach Hause?«, höhnte er. »Na, dann viel Spaß beim Schwimmen.«
    »Nun werden Sie nicht auch noch witzig, Chef. Das passt nicht zu Ihnen.«
    »Wenn Sie glauben, ich sei ein bisschen plemplem, dann … «
    »Niemand sagt, dass Sie plemplem sind. Aber es ist dunkel und sehr spät. Lassen Sie uns gehen.«
    »Ja, schon gut. Sie haben sicher recht«, lenkte er erschöpft ein. »Gehen wir.«
    Sie setzten sich in Bewegung. Sein Herzschlag beruhigte sich. Bald nahm er ihn nicht mehr wahr. Ab und zu sah Charlotte ihn aus den Augenwinkeln an. Er hatte den Kopf gesenkt und folgte dem Lichtstrahl ihrer Taschenlampe. Sie hakte sich

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