Mordsfreunde
zum Brunch ins Schlosshotel gehen«, murmelte er undeutlich, dann verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse, und er begann zu schluchzen.
»Lasst ihn los«, sagte Bodenstein. Er reichte Lukas die Hand, half ihm aufzustehen und legte ihm den Arm um die Schultern. Der Junge blickte sich unsicher um. Bei dem Kampf hatte sich der Verband von seinem Arm gelöst, die Wunde blutete leicht. Lukas starrte blicklos darauf. Unsicher, beinahe wie ein Betrunkener, schlurfte er zwischen Bodenstein und einem Beamten hinüber ins Wohnzimmer, es schien ihn unsägliche Kraft zu kosten, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
»Ich muss im Schlosshotel anrufen und absagen«, flüsterte er.
Bodenstein hatte den Hausarzt der van den Bergs ausfindig gemacht, weil Lukas sich gegen die Beruhigungsspritze gewehrt hatte, die ihm der Notarzt verabreichen wollte. Dr. Bertram Röder traf im Hause van den Bergs ein, kurz nachdem Lukas' Vater mit dem Notarztwagen abtransportiert worden war. Der Junge saß apathisch auf einer Treppenstufe und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Er hatte sich geweigert, auf sein Zimmer zu gehen, und da alle noch seinen gewalttätigen Ausbruch vor Augen hatten, versuchte niemand, ihn dazu zu zwingen.
»Was wird jetzt aus Lukas?«, fragte Bodenstein den Arzt. »Jemand sollte seine Mutter benachrichtigen. Wenn ich mich richtig erinnere, hat er gesagt, dass sie in Boston arbeitet.«
Dr. Bertram Röder warf ihm einen seltsamen Blick zu.
»Das hat Lukas erzählt?«, fragte er.
»Ja, so etwas in der Art«, Bodenstein nickte, »wieso?«
»Lukas' Mutter ist tot. Sie ist vor vierzehn Jahren an Krebs gestorben.«
Einen Augenblick herrschte völlige Stille in dem großen Haus. Bodenstein fiel etwas ein.
»Was bedeutet ›dissoziativ‹?«, fragte er den Arzt, dann erklärte er, was Franjo Conradi ihm erzählt hatte.
»Nun«, Röder räusperte sich, »es ist tatsächlich so, dass Lukas vor vielen Jahren psychologisch behandelt wurde. Man vermutete eine multiple Persönlichkeitsstörung.«
»Was ist das? Schizophrenie?«
»Im weitesten Sinne.«
Bodenstein blickte zu dem Jungen hinüber, der geistesabwesend auf seinen verletzten Arm starrte.
»Zur Ausbildung einer multiplen Persönlichkeit kommt esdurch traumatische Erlebnisse, vor allem in früher Kindheit. Viele multiple Patienten wurden emotional vernachlässigt, haben schon oft die Erfahrung gemacht, verlassen zu werden. Lukas hat seine Mutter verloren, als er sieben Jahre alt war.«
»Multiple Persönlichkeit«, Bodensteins Blick wanderte wieder zu Lukas, »ist das so wie Dr. Jekyll und Mr Hyde?«
»So in etwa. Die Ausbildung verschiedener Persönlichkeiten ist ein Selbstschutzmechanismus, die Persönlichkeitswechsel werden durch einen sogenannten ›trigger‹, ein auslösendes Moment, aktiviert.«
»Wie macht sich diese Störung bemerkbar?«
»Menschen, die unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung leiden, haben Angst vor dem Verlassenwerden. Sie fallen oft durch Instabilität in persönlichen Beziehungen auf, durch impulsive sexuelle Aktivität, unangemessen heftige und unkontrollierte Zornausbrüche und dadurch, dass ihnen die Erinnerung an gewisse Zeiträume fehlt.«
»Das bedeutet«, Bodenstein legte die Stirn in Falten, »wenn die eine Persönlichkeit etwas tut, weiß es die andere mitunter gar nicht?«
»So etwas wurde schon beobachtet«, bestätigte Dr. Röder.
In dem Moment klingelte es an der Haustür. Einer der Polizeibeamten öffnete. Christoph Sander stürmte in die Halle, er wirkte sehr besorgt. Sein Blick fiel auf Lukas. Er ging vor ihm in die Hocke und ergriff seine Hand. Bodenstein konnte nicht verstehen, was er sagte, aber bemerkte, dass sich Lukas' stierer Blick mit Leben füllte. Sander strich dem Jungen übers Haar und nahm ihn tröstend in die Arme. Lukas vergrub sein Gesicht an der Schulter des Mannes.
»Papa stirbt!«, schluchzte er und klammerte sich an Sander fest wie ein verzweifeltes Kind. »Was soll ich denn jetzt bloß machen?«
Bodensteins Handy summte. Seine Hoffnung, es könnte Pia Kirchhoff sein, die ihm erklärte, sie habe vergessen, den Akku ihres Handys zu laden, wurde nicht erfüllt. Stattdessen meldete sich die Besatzung des Streifenwagens, die man zum Birkenhof geschickt hatte.
»Hier ist keine Menschenseele«, berichtete ein Beamter. »Das Tor ist zu. Aber vor dem Haus steht ein Geländewagen.«
»Gehen Sie rein«, Bodenstein senkte seine Stimme. »Schauen Sie nach, ob etwas passiert ist.«
»Wie
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