Mordsfreunde
irgendetwas gegen irgendjemand in der Hand gehabt hatte. Hatte er wirklich nur leere Drohungen ausgestoßen? Pia stieg bei laufendem Motor aus und wollte aufschließen. Ihr Herz begann zu klopfen, als sie feststellte, dass das Tor nur angelehnt war.
»Das gibt's doch nicht«, murmelte sie. Sie vergaß nie abzuschließen, denn gerade im Sommer war auf dem asphaltierten Weg, der parallel zur A66 von Unterliederbach bis nach Zeilsheim führte, viel los. Am späten Nachmittag und frühen Abend wimmelte es von Joggern, Spaziergängern, Inlineskatern, Fahrradfahrern und den Kunden des benachbarten Elisabethenhofs. Pia beugte sich vor und betrachtete im Licht der Autoscheinwerfer das Schloss. Es war nicht beschädigt. War sie vorhin, als sie rasch die Pferde hereingeholt und gefüttert hatte, so zerstreut gewesen, dass sie nicht abgeschlossen hatte? Mit einem unguten Gefühl fuhr sie auf ihr Grundstück, stieg wieder aus und schloss hinter sich das große Tor. Am Stall drückte sie auf den Schalter für die Außenbeleuchtung und sah nach den Pferden. Die Stuten blinzelten sie verschlafen an, ihre Fohlen lagen schlafend im Stroh. Alles in Ordnung.Pia beruhigte sich etwas. Es war eine milde Sommernacht, die Luft war lau und duftete nach Flieder und den Rosen, die sich an der Wand des Stallgebäudes hochrankten. Sie ging zu ihrem Haus und bekam den nächsten Schrecken. Die Haustür stand sperrangelweit offen. Wenn Henning hier gewesen wäre, hätte er sie angerufen, außerdem war er geradezu zwanghaft, was das Abschließen betraf. Auf der nahegelegenen Autobahn war so wenig los, dass Pia ihren Puls in den Ohren pochen hörte. Sie ging zurück zu ihrem Auto, startete den Motor und machte die Scheinwerfer an. Dann wählte sie die 110. Sekunden später meldete sich der Beamte auf der Wache.
»Könnt ihr mal jemanden bei mir vorbeischicken?«, bat Pia, nachdem sie erklärt hatte, was los war.
»Klar. Kommt gleich jemand. Gehen Sie nicht alleine ins Haus.«
»Ganz sicher nicht. Ich spiele doch nicht die Heldin.« Pia klappte ihr Handy zu und fuhr zurück zum Tor, um es für die Kollegen zu öffnen. Mit klopfendem Herzen und ihrer SigSauer in den schweißfeuchten Händen wartete sie auf den Streifenwagen, der nur Minuten später auftauchte.
Pia beobachtete, wie in einem Zimmer nach dem anderen das Licht aufflammte. Ihr Puls sank auf eine normale Frequenz. Wenig später erschien einer der beiden uniformierten Kollegen in der Haustür und winkte ihr zu.
»Hier ist niemand«, sagte er und steckte seine Waffe zurück ins Halfter. »Schauen Sie mal selbst, ob irgendetwas fehlt.«
Pia ging von Raum zu Raum, aber alles sah so aus, wie sie es verlassen hatte.
»Ist ja auch nichts für eine Frau, so alleine hier zu wohnen«, bemerkte der andere Beamte.
»Was schlagen Sie vor?« Pia setzte sich auf einen Küchenstuhl. Sie spürte, dass sie noch immer am ganzen Körper zitterte. »Soll ich mir irgendeinen Kerl angeln?«
»Nicht gleich einen Mann«, der Beamte grinste. »Ein Hund reicht fürs Erste sicher auch. Hier haben Sie doch massig Platz, und jetzt gehen Sie schlafen. Wir bleiben draußen im Hof. Unser Dienst ist um sechs zu Ende, wenn bis dahin nichts mehr passiert, bleiben wir solange hier.«
Mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit wartete Pia, bis die beiden draußen waren, dann löschte sie alle Lichter, zog sich aus und ging ins Bett. Obwohl sie fest davon überzeugt war, kein Auge zumachen zu können, schlief sie nach ein paar Minuten tief und fest ein.
Gegen Mittag kam das vorläufige Obduktionsergebnis aus der Rechtsmedizin. Bevor der Junge gestorben war, musste es einen Kampf gegeben haben, denn Jonas hatte massive Abwehrverletzungen an Händen und Unterarmen, in seinem Mund und zwischen seinen Zähnen befand sich menschliches Gewebe. Jonas Bock war durch den Verschluss der Halsschlagadern, der die Blutversorgung des Gehirns unterbrochen hatte, gestorben, also durch Erhängen. Aber ob er durch eigene Hand aus dem Leben geschieden war oder durch Fremdeinwirkung, das vermochte selbst Professor Kronlage, der die Obduktion durchgeführt hatte, nicht zu sagen. Besonders seltsam war das Ergebnis der DNA-Analyse der Gewebeprobe aus Jonas' Mund und der Blutflecken aus seinem T-Shirt, denn sie stimmte beinahe vollkommen mit der eigenen DNA des Jungen überein.
»Haben wir schon den Bericht aus dem Labor über den Strick und den Haken?«, erkundigte sich Bodenstein. Er blickte auf und schaute in übernächtigte Gesichter.
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