Mordsfreunde
er musterte sie mit einem prüfenden Blick.
»Gar nichts«, erwiderte Pia. »Was soll sein?«
»Sie sehen plötzlich so ... bedrückt aus.«
Konnte der Mann zu allem Überfluss auch noch ihre Gedanken lesen?
»Ich habe zwei Mordfälle aufzuklären«, erwiderte Pia. Warum konnte nicht auch sie einfach irgendjemandem um den Hals fallen und sich trösten lassen, so wie es Antonia eben getan hatte? Zu gerne hätte sie Sander erzählt, was sie seit gestern Nacht bedrückte, aber was würde er von ihr denken, wenn sie, eine Fremde, ihm gestand, dass sie sich plötzlich davor fürchtete, abends ganz alleine auf ihrem Hof zu sein? Der Mann hatte wahrhaftig genug eigene Sorgen und würde sich vielleicht noch von ihr bedrängt fühlen.
»Kommen Sie mich doch mal wieder im Zoo auf ein Eis besuchen«, sagte Sander in diesem Moment. »Das würde mich freuen.«
Pia zwang sich zu einem Lächeln.
»Gerne. Sobald ich diese Fälle gelöst habe, habe ich hoffentlich wieder mehr Zeit für angenehme Dinge.«
Sie standen neben Sanders Auto und sahen sich an. Pia wich seinem Blick aus. Sie hasste es, verunsichert zu sein, und Christoph Sander verunsicherte sie über alle Maßen.
»Ich muss los«, sie kramte den Autoschlüssel aus der Tasche. »Einen schönen Abend noch.«
»Danke«, er machte ihr Platz, damit sie vorbeigehen konnte, »für Sie auch. Ich rufe Sie an, wenn ich etwas von Lukas' Vater erfahre.«
Pia spürte, dass ihr Herz klopfte und ihre Hände zitterten, als sie das Auto wenig später rückwärts aus der Einfahrt setzte. Sie war dabei, sich gefühlsmäßig zu verstricken, und das war nicht gut, gar nicht gut. Um im Gewirr falscher Fährten, zu dem sich die Ermittlungen auswuchsen, den Überblick zu behalten, brauchte sie einen klaren Kopf.
Donnerstag, 22. Juni 2006
Pia wurde wach, weil sie der Strahl einer Taschenlampe mitten ins Gesicht traf. Ihr Herz schlug heftig gegen ihre Rippen, sie lag wie gelähmt im Bett, unfähig auch nur den kleinen Finger zu rühren. Sie spürte, dass jemand im Schlafzimmer war. Der kalte Angstschweiß brach ihr am ganzen Körper aus, aber sie konnte nicht weglaufen, nicht schreien, nicht nach ihrer Dienstwaffe greifen, die sie neben ihrem Bett liegen hatte. Die Lampe ging aus, ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, und plötzlich erkannte sie mehr als nur die Umrisse eines Mannes.
»Lukas!«, flüsterte sie und wäre am liebsten vor Erleichterung in hysterisches Kichern ausgebrochen. »Was soll das? Wie bist du hier rein gekommen?«
Sie schämte sich, weil sie wegen der Hitze nur einen Slip trug, sonst nichts. Lukas beugte sich über sie, seine schönen grünen Augen waren gerötet und geschwollen vom Weinen. Seine Nähe war ihr nicht unangenehm, nicht wie am Samstagabend. Im Gegenteil. Sie spürte seine Hände auf ihrem Körper und schloss die Augen. Aber plötzlich ergriff er unsanft ihre Handgelenke, bog sie nach hinten und drückte sie mit dem Gewicht seines Körpers auf das Bett. Sie wollte ihn von sich wegschieben, aber er war stärker als sie. Pia öffnete die Augen, und als sie Lukas' verzerrtes Gesicht sah, bekam sie Angst. Sie kämpften miteinander, stumm und verbissen.Er war so schwer, sie konnte sich nicht mehr bewegen und bekam kaum noch Luft. Sie wollte schreien, aber kein Ton kam aus ihrer Kehle. Ihr wurde voller Panik bewusst, dass es nichts nützte, wenn sie schrie, denn niemand würde sie hören. Es gab keine Nachbarn, keine zufällig vorbeikommenden Spaziergänger – niemanden. Sie war allein und völlig wehrlos. Die Tränen schossen schmerzhaft in ihre Augen, rannen über ihr Gesicht und verstopften ihre Nase. Auf einmal richtete Lukas sich auf. Sein Blick bohrte sich in ihren. Er lächelte mitleidig und legte die Hände um ihren Hals.
»Bitte nicht«, wimmerte sie, »bitte, bitte ...«
»Du bist eine Enttäuschung für mich, Pia«, flüsterte er heiser. »Weißt du, was ich mit Leuten mache, die mich enttäuschen?«
Und dann drückte er zu.
Pia starrte in die Dunkelheit. Ihr T-Shirt war schweißnass, ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, und sie zitterte am ganzen Körper. Stocksteif lag sie im Bett und wartete darauf, dass sich ihr Herzschlag beruhigte. Es war Jahre her, dass sie einen solchen Traum gehabt hatte. Sie beugte sich zum Lichtschalter und machte das Licht an. Halb vier morgens. Das Fenster stand offen, aber die Nacht hatte keine Abkühlung gebracht. Pias Mund war staubtrocken, ihre Kehle schmerzte, und sie merkte, dass sie
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